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Prädikat: Klimaneutral

| 1. Juni 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 143, Kunst und Kultur

Foto: wernerboote.com

Werner Boote hat einen neuen Dokumentarfilm veröffentlicht. »The Green Lie« beschäftigt sich mit nachhaltigem Konsum. Und regt an oder auf.

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Es gibt einfachere Dinge, als passende Filmtitel zu kreieren. Sollen diese doch einerseits dafür sorgen, dass genügend Menschen ins Kino gehen, und andererseits idealerweise auch noch den Inhalt eines Bewegtbildwerks in wenigen Worten deutlich machen. Den Filmtitel von Werner Bootes aktuellen Dokumentarfilm könnte man grenzgenial nennen, allerdings auch als irreführend bezeichnen. Suggeriert doch »The Green Lie« – zu deutsch: die grüne Lüge –, dass es sich bei Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und all diesen bereits seit einigen Jahren allgegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu einem Konsum des Hinterfragens, um Humbug handelt.

Das stimmt so natürlich nicht. Aber irgendwie doch. Und genau deshalb hat Werner Boote bei seinem Filmtitel in all seiner ambivalenten Klarheit so viel richtig gemacht. Bin ich nämlich ohnehin schon jemand, der den menschlichen Einfluss auf zunehmende Extremwetterereignisse, klimatische Veränderungen oder steigende Meeresspiegel als unbedeutend einstuft oder ihm gar die faktische Grundlage abspricht, werde ich mich in meiner Welt der ewigen Suche nach Alternativen zur »Systemmedienmainstreammeinung« unmittelbar angesprochen und gar bestätigt fühlen. Bin ich selbst ein leidenschaftlicher Biobobo, Fairtradefreund und Nachhaltigkeitsnazi habe ich den Titel entweder richtig verstanden und will das dahinter verborgene Werk sehen, um mich bestätigt zu fühlen, oder ich fühle mich in meiner ideologischen Wahrheit dermaßen angegriffen, dass ich dem Film erst recht Aufmerksamkeit schenke.

Weil der Mensch stets Recht haben will. Das steht ihm ja auch zu. Ebenso wie Filmrezensionen, in denen über die Handlung des besprochenen Bewegtbilds zu lesen ist. Also bitteschön: Werner Bootes neueste Doku durchleuchtet die Industrie des nachhaltigen Wirtschaftens und Konsums. Etwa anhand von – zumindest so genannten – Gütesiegeln von – zumindest angeblich – fair gehandeltem Palmöl, die am Ende des Geschäfts natürlich nur reines Marketingwerkzeug sind und keiner tatsächlich unabhängigen Kontrolle unterliegen.

Wie so ein Marketingwerkzeug funktionieren könnte, beschreibt Boote selbst beim Filmgespräch im Grazer Schubertkino am besten: Bei der Berlinale, wo ›The Green Lie‹ Premiere feierte, wurde ihm das Siegel ›CO2-neutral‹ für seinen Film angeboten. »Ich hätte keinen Nachweis erbringen müssen, es hätte mich nur 3.000 Euro gekostet«, sagt Boote. Beispiele wie diese erklären das beleuchtete Phänomen des Greenwashings. Der Regisseur bereist zusammen mit der zweiten Hauptdarstellerin, der deutschen Autorin Kathrin Hartmann, eine Welt, in der Unternehmen Nachhaltigkeit vorgaukeln, um Konsumenten glücklich zu machen. Wo doch jeder mündige Konsument wissen sollte, dass – angeblich – nachhaltig produzierte und – vermeintlich – sozial gerechte Produkte nie nachhaltig produziert und sozial gerecht sein können, solange die Welt vom aktuellen ökonomischen System regiert wird. Was zur Conclusio des Films führt: Es braucht mehr Widerstand gegen die moderne Weltordnung. Oder einfach: »System Change, not Climate Change«, wie es die eloquente Dame von gleichnamiger Bewegung kürzlich am Klimagipfel in Wien – dank Duldung von Bundeskanzler Sebastian Kurz – ausdrücken durfte.

Ich kann richtig spüren, wie die letzten Zeilen reflexartige Tobsuchtsanfälle in überzeugten Kapitalisten und gleichzeitig Freudenschreie in überzeugten Sozialisten, Marxisten oder Kommunisten auslösten. Und verbleibe deshalb ganz klassisch: »The Green Lie« von Werner Boote – Prädikat: sehenswert; Inhalt: diskussionswürdig. Und zwar in der neutralsten Bedeutung des Wortes gemeint.

::: Zur Webpage von Werner Boote

Sehen Sie hier den Trailer zum Film:

Alles Kultur, Fazit 143 (Juni 2018) – Foto: wernerboote.com

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