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Was wir aus der Katastrophe von Paris lernen könnten

| 26. April 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 152

Von einem »paneuropäischen Kulturschock« hat Andreas Unterberger in seinem politischen Tagebuch geschrieben und damit den Brand der Kathedrale des Erzbistums Paris wohl vortrefflich beschrieben. Notre Dame ist – Gott sei es gedankt – nicht vollkommen verwüstet worden, der Wiederaufbau wird aber wohl mindestens die von Emmanuel Macron veranschlagten fünf Jahre bedürfen.

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Ich denke, nicht nur für mich als Katholiken war es fürchterlich, via Fernsehen dabei zusehen zu müssen, wie diese Kirche im Herzen von Paris – und damit in einem Herzen Europas – brannte. Dass in der Feuersbrunst niemand sterben musste und dass, wie schon erwähnt, dieser gotische Riese – hoffentlich ohne allzuviele Bausünden vermeintlich architektonischer »Zeitgemäßheit« – wiedererstehen wird, tröstet ein wenig über den großen Schaden hinweg.

Heute, ich schreibe diesen Text am Karfreitag, möchte ich über einen zweiten Kulturschock nachdenken, der sich mir als Begleiterscheinung des Notre-Dame-Brandes aufgetan hat: die Kommentierungen und Postings dazu in den sozialen Medien. Diesen hier Raum zu geben und damit Platz und weitere Aufmerksamkeit zu widmen, vermeide ich natürlich. Es geht mir darum, zu versuchen, dem traurigen Jahrhundertereignis wenigstens einen einzigen positiven Aspekt abzuringen. Und es als Fanal zu begreifen, an dem wir damit begonnen haben, zu verstehen, dass das Internet nicht bloß ein neues Medium ist, sondern dass mit dem Internet eine neue »Realität« begonnen hat, die »virtuelle Realität« eben. Die uns im Umgang mit ihr noch viel mehr an Verständnis abverlangen wird.

Die ersten gedruckten Seiten nach Erfindung des Buchdruckes waren neben der Bibel vor allem Schmähschriften, Pamphlete und Pornographisches. Selbiges gilt für die Einführung der Fotografie und fortfolgernd auch beim Film. Wir haben aber recht rasch erkannt, wichtige, qualitäts- wie wertvolle Inhalte, Themen und Postionen von Unwichtigem, Schlechtem und Niederträchtigem zu unterscheiden. Mir sind keine Zeitungen – und später Fernsehsendungen – bekannt, die seitenweise bzw. sendeminutenweise über Flatulenzen oder sonstige Unwesentlichkeiten menschlicher Existenz berichtet haben. Wie es die hilflos um Auflagenzahlen bzw. Zuschauerquoten strampelnden Verlage und Medienhäuser aber eben tun, wenn sie die abscheulichsten Tweets, die dümmsten Kommentierungen oder die schmähensten Aussagen einzelner Menschen wiederholen. Natürlich, um sie zwar zu kritisieren, um sie zu entlarven; nur tun sie das damit eben gerade nicht! Sie verhelfen diesem ganzen Abfall lediglich zu einem Echoraum, der unser Bild von der Welt ins Unkenntliche verzerrt. Würde die »Zeit im Bild« etwa eine Kamera in einem Misthaufen installieren, würde auch der falsche Eindruck entstehen, all unser Umfeld bestehe aus Dreck.

Das Internet ist ein wunderbarer Platz, das Beste vom Menschen, seinen Erfindergeist, seine künstlerische Ader, seine unglaubliche Kreativität darzustellen. Und so vielen verfügbar zu machen, die dann noch mehr daraus schaffen können. Es ist aber eben auch – virtuelle Realität – ein Platz, der das Niederträchtigste, das Widerlichste und das Verabscheuungswürdigste unserer Spezies abbilden kann. Das Böse. Und das Böse ist in uns allen.

Es muss uns gelingen, unsere »Kameras« dort zu positionieren, wo es Sinn ergibt. Dabei denke ich gar nicht zuvorderst an gesetzliche Regelungen – das wäre eine eigene Diskussion, grundsätzlich reicht meines Erachtens unser Strafrecht mit kleinen Adaptierungen ganz gut aus. Wir müssen »lernen«, dass zu allen Zeiten der Zivilisation, alles und eben auch alles Schlechte von allen gesagt wurde. Am Wirtshaustisch, zuhause, im Kaffeehaus oder zu früheren Zeiten im Steinbruch oder bei Tanzveranstaltungen. Wir müssen lernen, dem keine Beachtung schenken zu müssen. Und auch nicht dürfen. Es müssen nicht per se schlechte Menschen sein, die Unsagbares im Internet verzapfen, sie können vor allem nicht damit umgehen, nicht in jeder persönlichen Verfasstheit (Verzweiflung, Wut, …) ihrem Ärger einfach mittels eines Postings Luft zu verschaffen. Und wir müssen lernen, dass ein solcher Ärger schlicht und einfach keine Bedeutung hat, und dürfen ihm vor allem keine verleihen! Wenn uns das auch nur in Ansätzen einmal gelingen wird, dann war die Katastrophe vom 15. April 2019 nicht ganz umsonst.

Editorial, Fazit 152 (Mai 2019)

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