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Die Schwäche der Sozialdemokratie schadet auch unserer Demokratie

| 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 157

Gäbe es die Sozialdemokratie nicht, ich müsste sie erfinden. Dieser Stehsatz begleitet mich im Grunde seit meiner recht frühen politischen Sozialisierung. Es gibt sie seit mehr als 100 Jahren, also bestand da für mich nie Handlungsbedarf. Zudem war ich natürlich stets ein Konservativer, dann doch klar rechts der Mitte verortet. Noch wichtiger erschien mir aber immer schon meine Überzeugung von der Demokratie als bester Staatsform, die ich kenne. Und in der – für mich – idealen Ausgestaltung dieser Demokratie wetteifern links und rechts um die besseren Ideen, die besseren Ansätze, den besseren Weg, unsere menschliche Gemeinschaft, unser Staatswesen also, fortwährend »besser« zu machen.

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Unter diesen Aspekten kann mich die anhaltende Krise der Sozialdemokratie in Österreich (gleiches gilt wohl für Deutschland) nicht mit Freude erfüllen. Es braucht nach meinem Dafürhalten eine starke und (dann auch) selbstbewusste sozialdemokratische Bewegung, um diesen Wettstreit der Ideen sinnvoll zu bestreiten. Die SPÖ kann das im Moment nicht. Und das ist auf lange Sicht fatal. Nicht zuletzt aus diesem Grund lesen Sie in dieser Ausgabe einen Essay vom so geschätzten wie linken Publizisten Robert Misik, der in einer Hinwendung zu mehr »Sozialismus« ein oder vielleicht sogar das Heil der SPÖ sieht. Inhaltlich stimme ich natürlich mit kaum einer Zeile seines Textes überein; alleine seine Einführung, in der er vom »wildgewordenen Kapitalismus« spricht, der Leben zerstören und uns zu »Konkurrenzzombies« machen sowie überhaupt den ganzen Planeten ruinieren würde, erscheint mir mehr als überzogen. Misik sieht nur den Schatten, das Licht sieht er nicht. Der Text selbst ist dann ausgewogener und war auch für mich das Lesen wert. Vielleicht ist das ein Ansatz für die sinnvolle Linke, ich muss mir das ja nicht in jedem Detail vorstellen können. Es erscheint mir aber wenigstens als ein Ansatz, den ich ansonsten auf breiter Flur vermisse. (Max Lercher bläst in ein ähnliches Horn.)

Ansonsten ist die Position der Sozialdemokraten diffus bis nicht wahrnehmbar. Die leider viel zu übercoachte Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner konnte etwa in einer der letzten Ausgaben der Sendung ORF-Report kein Alleinstellungsmerkmal der SPÖ innerhalb der heimischen Parteienlandschaft nennen; eine für diese ehedem so große und staatstragende Partei mehr als obskure Situation. Das aber gleichzeitig ihr Dilemma wunderbar illustriert. Und hast ein Pech, kommt das Unglück auch noch gerne dazu: Beinahe schon parodistisch hat der »Jubel« des SP-Chefs in Vorarlberg über einen Gewinn von 0,9 (!) Prozent auf insgesamt nicht einmal zehn (!) Prozent bei der Landtagswahl vor einer Woche gewirkt. Er sprach von einer »historischen Trendwende« für die SPÖ.

Viel zu oft habe ich hier und in persönlichen Diskussionen mit Freunden und Weggefährten die »Spaltung der Gesellschaft« moniert. (Ich kann mich kaum mehr hören, wenn es wieder darum geht.) Und wenn auch der große Denker und Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem lesenswerten Interview mit der Furche von Anfang Oktober dieses Jahres »die These von der Spaltung der Gesellschaft auf der politischen Ebene für völlig falsch« hält, bleibe ich trotzdem dabei. Liessmann macht es sich in der Beantwortung der letzten Frage des Interviews meiner Meinung nach ein wenig zu einfach, eine vermeintlich geistreiche, weil sehr solitäre Position zu beziehen. Er begründet diese damit, dass »von ziemlich rechts bis ziemlich links« die Parteien noch nie so übereinstimmen würden wie heute. Es gäbe keine wirklich kontroversen Gesellschaftskonzepte mehr. Das stimmt so nicht ganz, es ist vor allem aber nicht entscheidend für das aktuelle Problem unserer Demokratie. Da stehen sich nämlich, und das ist es, was ich als »Spaltung« auffasse, zwei immer unversöhnlichere Lager gegenüber, beide im Bewusstsein, »das Richtige« zu tun und beide im Bewusstsein, der politische Mitbewerber sei plusminus »das Böse«. Aus diesem Denken müssen wir ausbrechen, wir brauchen da wieder deutlich mehr Respekt zwischen den politischen Lagern.

Deswegen war es uns Herausgebern – Johannes Tandl befasst sich im Schlusskommentar ja ebenfalls mit der roten Krise – wichtig, dass wir auch die Sicht und Vorschläge eines Linken in unser Denken, in unser Nachdenken einfließen lassen. Denn, wenn ich es mir auch nicht vorstellen kann, vielleicht hat Misik ja recht.

Editorial, Fazit 157 (November 2019)

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