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Herr der Knöpfe

| 20. Januar 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 159, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Das Familienunternehmen Hirt hat eine einzigartige Marktstellung als Knöpfeproduzent. Während ab Anfang der 1950er Jahre nur Hirschhornknöpfe produziert wurden, hat es sich in weiterer Folge zu einem Fachgeschäft für Kurzwaren mit Näh- und Handarbeitszubehör entwickelt und stellt nach wie vor Knöpfe aus Metall, Kunststoff und Naturmaterialien her. Insbesondere die Trachtenknöpfe aus Hirschhorn werden in diesem Ausmaß nur mehr in Graz produziert.

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Die Existenz spezieller Geschäfte ist für manchen Zeitgenossen wie ein Haltegriff im Leben. Im Hier und Jetzt, anno 2019, gerät die Welt angeblich allenthalben aus den Fugen, obgleich Veränderung ja eine einzige große Konstante ist. Auch die Zeiten werden vorgeblich immer schlechter, wenn auch schon seit den 1970er Jahren, spätestens aber seit den 1990ern – die 1980er waren bis auf die Mode und die Populärmusik noch ganz in Ordnung – so sagt man jedenfalls. Allgemeine Orientierungslosigkeit mache sich breit, so die einen, es sei nur der ganz normale Wandel, so die anderen. Fürchtet euch nicht, würde der Hirt sagen. Sagt er natürlich nicht, denn Klaus Hirt ist nicht Politiker oder Prophet, sondern ein seriöser Geschäftsmann – und das in vierter Generation. Überraschend ist nur, dass es wirklich einen Herrn Hirt gibt. Selbst alte Stadtläufer wie unsereiner haben ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Kein Wunder, steckt der 50jährige doch die meiste Zeit im Keller oder im Büro im ersten Stock des frisch renovierten Hauses aus dem 16. Jahrhundert am Grazer Kaiser-Franz-Josef-Kai, direkt am westlichen Schloßberghang zwischen der Talstation der Schloßbergbahn und dem Schloßberghotel.

Kuriose Kurzwaren
Das 102 Quadratmeter große Geschäftslokal ist in der heutigen Zeit ob der Mannigfaltigkeit und der Art der angebotenen Waren ein Kuriosum. Es gibt unzählige unterschiedliche Artikel, die – abgesehen von den seit einigen Jahren angebotenen Stoffen, die als Meterware gelten – zu den sogenannten Kurzwaren zählen. Kurz ist im Sinne von klein gemeint, also Kleinwaren. Abgesehen von der Spezialität des Hauses Hirt, den Knöpfen, wird grundsätzlich Näh- und Handarbeitszubehör verkauft, aber auch allerlei, was unter den Begriff Souvenir fällt. Zu meinen persönlichen Lieblingsstücken gehört seit meiner Kindheit das Wetterhäuschen. Dass bei Schönwetter die Frau erscheint und bei Regenwetter der Mann, war für mich zwar nie verständlich und ist auch keineswegs gendergerecht, aber sei‘s drum. Mitbringsel mit Zusatznutzen wie ein »Flachmann« haben jedenfalls ihren Reiz und helfen Unentschlossenen schon einmal aus der Patsche. Im Handarbeitszubehör zählt der BH-Verlängerer zu den Favoriten für nostalgische Kuriositätenliebhaber. Wirklich praktisch wird es im Folgenden: Scheren aller Art in unterschiedlichen Größen, Gürtelschnallen, Jeans-Flicken, Cord-Flecken, Hosentaschen zum Aufbügeln, Nähnadeln, Reißverschlüsse, Einziehgummis. Wo bekommt man so etwas heute noch? Das fragen sich viele Kunden. »Seit der Rebus zugesperrt hat und der Kastner diese Dinge nicht mehr im Sortiment hat, gibt es nicht mehr viele Geschäfte, wo man das bekommt. So haben wir in der Innenstadt natürlich einen Vorteil«, sagt Klaus Hirt. »Das Besondere bei uns ist die Vielfalt des Angebots«, bringt es Ehefrau Eva Hirt, die für den Bereich Geschäftslokal zuständig ist, auf den Punkt. Was ins Sortiment kommt, wird oft durch Kundenwunsch bestimmt.

Foto: Heimo Binder

Wo die Hirschknöpfe herkommen
Im Produktionsraum direkt neben dem Keller riecht es eigentümlich. Streng, kein unbekannter Geruch, aber ich komme nicht drauf. »Wir haben heute Knöpfe aus Knochen gemacht«, erläutert Klaus Hirt. Wir sind in der Produktion. Das ist der Bereich vom Chef. Die Räumlichkeiten, die direkt an den Fels des Schloßbergs grenzen, sind vollgestopft mit Maschinen und Hirschgeweihen. Hirt: »Zu Beginn in den 1950er Jahren wurden überhaupt nur Knöpfe und Geweihwaren verkauft, inzwischen haben wir das Sortiment aber erweitert.« Bis heute geblieben ist die einzigartige Marktstellung als Knöpfeproduzent. In Wien werden noch Kunststoffknöpfe hergestellt, im Ennstal Metallknöpfe, aber Trachtenknöpfe aus Hirschhorn in diesem Ausmaß nur mehr in Graz. Hirt schätzt seine Produktionsmenge an Lederhosenknöpfen auf weit mehr als 100.000 pro Jahr. Dafür wird neben Hirschhorn, der eigentlich ein Knochen ist, auch Büffelhorn oder Steinnuß verwendet. Letztere ist der hühnereigroße Kern einer südamerikanischen Palmenfrucht. Sie ist weiß mit braunem Rand, ähnelt der Hirschhorn, ist aber die günstigere Variante. Die Herstellung von derartigen Knöpfen ist enorm aufwendig. Zwar stehen im Keller viele Spezialmaschinen, letztlich ist aber alles Handarbeit, für die viele Arbeitsvorgänge und noch mehr Erfahrung notwendig sind. Eingekauft wird bei Jägern und Züchtern in ganz Österreich. Hirschgeweihe sind nachwachsende Naturprodukte. Jeder Hirsch entwickelt sein Geweih innerhalb eines Jahres, wirft es schließlich ab und ein neues wächst nach. Ein Zwölfender ist somit nicht alt, sondern schnell. Das hat auch mit Testosteron zu tun – aber das führte selbst im Rahmen einer Fazitabschweifung zu weit. Die Unhandlichkeit der sperrigen Geweihe führt zum nächsten Arbeitsschritt – sie müssen in handliche Stücke geschnitten werden. Dann wird nach Qualität und Farbe sortiert, mit verschieden großen Spezialbohrern ausgebohrt und ausgestemmt, um Rohlinge zu erhalten, deren Rückseite plan und glatt gedreht wird, um nach abermaliger Sortierung nach Farbe und Zweck auf der Vorderseite ausgedreht zu werden. Dabei entsteht durch einen Fräsvorgang der sogenannte Fadenteller, die Vertiefung in der Mitte des Knopfs, in die – natürlich wiederum mit anderen Spezialmaschinen – ein Fadenschlitz oder ein Fadenkanal gefräst beziehungsweise gebohrt wird, damit der Knopf auch angenäht werden kann. Eventuell werden später noch eine Einlage und eine Metallöse angebracht. Der letzte Arbeitschritt in der Produktion jener Knöpfe, die glatt werden sollen, findet in einer von mehreren Poliertrommeln statt, die ungefähr zwölf Stunden laufen müssen, um zu einem buchstäblich schönen Ergebnis zu führen. Dabei sind rares Wissen und viel Erfahrung gefragt, denn das Poliermittel besteht aus speziellen kleinen Hölzchen, zum Teil etwa in Würfelform, die – materialabhängig und je nachdem, ob die Knöpfe glänzend, matt oder seidig werden sollen – mit geheimnisvollen Pasten, Ölen oder Bimsmehl vermischt werden. »Den Beruf des Knopfherstellers gibt es nicht«, erläutert Klaus Hirt, »daher gibt es auch keine Lehre, somit muss jeder Mitarbeiter angelernt werden.«

Maschinenbauer und Tausendsassa
Angesichts des Aufwands sind Hirschhornknöpfe trotzdem relativ günstig. Der Endkunde wird ab 90 Cent fündig, große Exemplare kosten bis zu 4 Euro, ein Paar Reversknöpfe 9 bis 10 Euro. So sie aus den Rehkronen gefertigt sind, 15 Euro pro Paar, weil sie gänzlich ohne Maschinen in reiner Handarbeit hergestellt werden müssen. In der Hirt‘schen Produktion werden aber auch Kunststoffteile erzeugt. Etwa für Ziehharmonikas. Allein die Zahl der Harmonikaknöpfe schätzt Hirt auf rund 70.000 plus 100.000 diverse Kleinteile pro Jahr. Unter den zahlreichen Maschinen sorgt ein Spritzgußautomat auch für ganz »normale« Kunststoffknöpfe, für die auch schon einmal eine Bestellung über 100.000 Stück hereinkommen kann. Zur Zeit leckt die Maschine, Öl rinnt aus. »Das muss ich jetzt bald einmal reparieren«, meint Klaus Hirt. Wie er überhaupt so ziemlich alles reparieren kann. Oder Spezialbohrer anfertigt. Oder wie er die Bäume für die Holzknöpfe zum Teil selbst schlägert, aufschneiden und zu Rundhölzern drechseln läßt, aus denen er dann mit einer Spezialmaschine mit gezählten zwölf Sägeblättern Scheiben für Knöpfe macht. Oder die Lager sämtlicher, teils uralter, Maschinen erneuert. Oder die Netzwerkprobleme beim Computer behebt. »Bis auf Stricken und Nähen kann ich fast alles«, meint der Absolvent der Fachhochschule für Maschinenbau in Weiz verschmitzt, augenscheinlich die ideale Ausbildung für einen Knopfproduzenten, der von sich auch sagt: »Ich habe meinen Beruf zum Hobby gemacht.«

Foto: Heimo Binder

Beißkörbe für Touristen
Mit seinen Knöpfen beliefert Hirt auch so bekannte Kunden wie Lodenfrey, Mothwurf, Hiebaum, Lodenfürst und auch Lena Hoschek hat hier schon eingekauft. Als Großhändler versorgt er österreichweit Fachgeschäfte für Näh- und Handarbeitszubehör. Für diese Geschäftsbereiche ist Carmen Hirt, die Schwester von Klaus Hirt, zuständig. Der klassische Familienbetrieb bildet auch ausserbetrieblich eine geschlossenen Einheit. Die Schwester, das Ehepaar mit seinen drei Kindern, der Vater und auch die 106jährige Großmutter leben im Haus am Kaiser-Josef-Kai. Der Gründer des Unternehmens, sein Großvater Karl, wie auch sein Urgroßvater Anton waren Holzschnitzer, daher verwundert es schon gar nicht mehr, dass Klaus Hirt für Ausbesserungsarbeiten im Dachstuhl eigenes Holz von der Landwirtschaft seiner Mutter verwendet hat. Nebenbei erwähnt er noch, dass er das vormals hellgrüne, heute ockerbeige Haus unter anderem mit Sumpfkalk zumindest zum Teil selbst renoviert hat. Mit dem Segen vom Denkmalschutz, meint er auf meine aufgerissenen Augen hin, und »mit restauratorischer Begleitung.« Zur Zeit ist Hirt zwecks Sortimenterweiterung auf der Suche nach einem Lieferanten von Hundebeißkörben, weil die Nachfrage vor allem von Touristen gestiegen ist. Hirt: »Viele wissen nicht, dass in der Schloßbergbahn für alle Hunde ausnahmslos eine Maulkorbpflicht besteht.« Eingangs erwähnte Zeitgenossen und entwurzelte Konsumenten können ob solcher Unternehmer beruhigt sein. Bitte festhalten.

Hirt-Knöpfe
Näh- und Handarbeitszubehör
8010 Graz, Kaiser-Josef-Kai 34
Telefon +43 316 825 301
http://hirt-austria.at

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