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Jazzliebe in Zeiten der Cholera

| 6. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 166, Kunst und Kultur

Foto: Wolfgang Rappel

An missliebige, aber vorschriftliche Verhaltenskodizes bei Kulturveranstaltungen haben wir uns hierzulande noch immer nicht ganz gewöhnt. Wir leben halt irgendwie damit. Aber wie sieht es eigentlich im benachbarten »Ausland« aus? Ein Blick zu unserem Lieblingsfestival im Salzburger Saalfelden lohnt. Da macht man Beispielhaftes vor! Zur Nachahmung empfohlen!

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Der Mensch, so der Grundtenor, ist ein soziales Wesen. Er liebt Zusammenrottungen aller Art und trachtet danach, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. Das Eingehen besonders komplexer sozialer Bindungen zeichnet ihn gar aus. Tut er das nicht, gilt er als eigen, unter Umständen gar krank und wird von der Gruppe erst recht abgesondert. Meeresschildkröten etwa sind da anders, die kümmern sich dem Vernehmen nach nicht mal um ihren Nachwuchs. Dafür haben sie einen langen Atem. Einen langen Atem hat auch das im 41. Jahr befindliche internationale Jazzfestival in Saalfelden. Das benannte sich diesjährig einfach um und rief sich »weekender«. Der Output war allerdings umso bemerkenswerter, als gerade aufgrund der virologischen Misslichkeiten ein Viertagesprogramm erwuchs, das staunen machte und nachhaltig freut. Aus den Krisen gestärkt hervorgehen und so … Absichtliche »Themenverfehlungen« im diesjährigen Diskurs, um niederschwellige Breite zu zeigen (Voodoo Jürgens), gaben der erstaunlich jungen (jung an Jahren) österreichischen Jazzszene die Hand. Was für ein patriotischer Glücksfall, diese Pandemie, wie das Abschlusskonzert am Rooftop des Citytowers zeigte. Glücklich auch die Losung zusammenzuhalten und durchzuhalten.

Einerseits ist es wohl dem faustischen Denken und dem Willen zur Durchsetzung geschuldet; ein anderes ist sicher das gegenseitige wirtschaftliche Vertrauen. Die wohlwollende Subventionsgebung und heuer auch das Gesamtbudget – ca. 400.000 Euro im Jahr 2020 im Vergleich zu 800.000 Euro im Jubiläumsjahr 2019 – wollte man auch nicht verkommen lassen.

Dass der McDonald’s Saalfelden mit deutschen und holländischen Urlauberfamilien dermaßen voll ist, dass die Menschen de facto abstandslos übereinanderstehen, und 50 Meter daneben, sowohl das Kunsthaus Nexus und die fantastische Location Buchbinderei Fuchs mit Auflagen wie Security, Registrierung beim Ein- und Auschecken, Abständen, Masken und anderen wohlfeilen Dingen drangsaliert werden und den kreativen Prozess damit einschränken, ist eine kafkaeske Episode, die zu Papier gebracht, Kafkas Werke in den Schatten stellen würde. Wenn es nicht so kostspielig, wohl auf Kosten der Künstlerhonorare, und mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar wäre. Wobei von Seiten der Saalfeldner »Fair pay« großgeschrieben wird.

Was anderes jetzt: Der Autor dieser Zeilen hatte ein gut gehütetes Geheimnis, dass er jetzt preisgibt. Er hat sich verliebt. Und zwar in Jesus. Denn ein Highlight ist die Dekanatspfarrkirche der Stadt Saalfelden, die in die Location der dislozierten Veranstaltungsorte aufgenommen wurde. Gut Ding braucht Weil. Wer hätte sich das vor 40 Jahren wohl gedacht. Der Wunsch nach einer neuen Orgel wird im Entscheidungsprozess der Pfarre marketingtechnisch wohl auch eine Rolle gespielt haben. Das perfekt ausgeleuchtete Kruzifix mit dem gekreuzigten Sohn Gottes von Jakob Adlhart d. J. jedenfalls trägt zum gelungenen Gesamtensemble der Konzerte bei, die Akustik ist ein Ohrenschmaus.

Kunst als Lebensmittel
Die Altvordern vor Ort, jene, die die Chose über Jahrzehnte passiv und aktiv begleitet haben, bringen ebenso Licht in die Welt und in so manches Dunkel der Historie. So ist Christian Fuchs mit seiner wunderbaren Buchbinderei zum fixen Aufführungsortsbestandteil des Aufgebots geworden. Für ihn produziert Kunst und Kultur nicht nur im handwerklichen und merkantilen Sinngehalt: »Kunst ist für mich Lebensmittel. Mit 16 hatte ich zum ersten Mal Kontakt zum Festival. Da ich nicht wirklich hineingefunden habe in die populäre Musik, bin ich beim Jazz gelandet. Als Wirtschaftstreibender würde ich sagen, dass das Festival noch nicht ganz dort angekommen ist, wo es hin soll. Ich bezweifle eher, dass es bei der Bevölkerung angekommen ist. Ein notwendiges Übel, damit es überhaupt weiterbestehen konnte, war, dass die Touristiker sich des Festivals angenommen haben. Durch die Öffnung mit den Freikonzerten und die Idee der Intendanz mit alternativen Spielplätzen ist das Ganze in eine neue Ära eingetreten, dazu hat es 40 (!) Jahre gebraucht.«

Beständigkeit durch Wandel. Für den Drucker und überzeugten Gemeinwohlökonomen Fuchs hat die Idee der vielen Nebenspielorte das Festival heuer sogar gerettet. Die Atmosphäre, inmitten der alten Gerätschaften der Werkstatt Improjazz zu hören, sind fantastisch. Allerdings: »Leider kommt das Publikum der Anfangszeit nicht mehr. Früher hat sich Saalfelden für eine Woche komplett verändert. Jedoch zieht das junge Publikum nach.«

Für den sportlich-drahtigen Touristiker Marco Pointner ist das ursprünglich abgesagte und binnen Tagen doch noch aus dem Boden gestampfte Projekt eine Vorzeigegeschichte eines Spagates zwischen Kreativität und Organisation. Förderzusagen habe man schon gehabt und von Land und Bund wurde man de facto gebeten, »etwas zu machen, da es wichtig ist, in diesen Zeiten im Sektor Kultur etwas zu unternehmen. Es ist gelungen, die Sponsoren bei der Stange zu halten.« Die Auslastung von 600 Tagespässen war binnen Tagen ausverkauft, wobei sich ein Drittel aus dem regionalen Raum, zwei Drittel aus überregionalen Besuchern speisten. »Die 35 Seiten Covid-Präventionsmaßnahmen hat man erstellt und mit Freuden eingehalten. Die Gesundheitsbehörden waren vor Ort und haben das Festival als Best-Practice-Beispiel erkannt und gelobt.«

Permanente Umprogrammierung
Für Mastermind und Intendant Mario Steidl war der Aufwand der permanenten Umprogrammierung ein mittelschleißiger Lustgewinn. Drei Tage vor Festivalbeginn wurde die Ampel für die Norweger auf Rot gestellt. »Alle Zeitpläne und technischen Gegebenheiten mussten neu aufgestellt werden. Wir waren es aber eh schon gewohnt. Wir hatten ja ohnehin vorhin schon innerhalb weniger Wochen ein neues Programm zusammengebastelt. Dankenswerterweise ist die österreichische Szene so breit und großartig, dass wir aus diesem Fundus schöpfen konnten. Der Österreichanteil liegt wohl bei 80 bis 90 Prozent.

Wir gehen wieder gezielt in neue Orte mit den Künstlern und lassen sie abseits der Hauptbühnen dann laufen.« Was geht aus der Krise hervor, was wäre eine kulturpolitische Forderung? »Klare und für alle gleich geltende Richtlinien, auch im Kulturbereich. Ich befürworte die Maßnahmen, aber es ist völlig unverständlich, wenn die Leute in der Gastronomie oder in diversen Freizeiteinrichtungen nahezu aufeinander sitzen und man bei Kulturveranstaltungen aber so tut, als wäre dies der Hort der Pest. Der Zickzack-Kurs der Bundesregierung in den Verordnungen ist nicht nachvollziehbar, das verunmöglicht jegliche Vorabplanung für Kulturveranstaltungen.

Diese Bundesregierung behandelt Künstler und Kulturarbeiter wie ihre Hofnarren: Erst sagt man uns alles ab, dann dürfen wir wieder aufspielen, wenn es den Herrschaften beliebt – aber nur zu deren Bedingungen. Das ist einfach untragbar.«  Und eine klare Ansage für das heimische Substrat zum Schluss: »Ich finde es nicht mehr vertretbar, irgendwelche ‚Superstars‘ oder große Namen der Jazzgeschichte zu unverschämten Gagen einfliegen zu lassen. Da stecke ich lieber das Geld in die spannende junge Szene.«
Was dem Autor in der Steiermark bei all unseren Festivaligkeiten ein wenig abgeht, ist eine hilfreiche App, die durch den Tag begleitet. Vom Nachbarn lernen, in sich gehen und vor allem gemeinsam Sachen durchziehen. Ich sag’s ganz billig: Wenn Tourismus, Politik und kreative Köpfe an einem Strang ziehen, dann wirds gehen.

Das Jazzfestival Saalfelden findet seit 1978 jährlich im August statt. 2016 wurde der Ableger »Drei Tage Jazz« gestartet, der im nächsten Jahr von 22.–24. Jänner laufen soll.
jazzsaalfelden.com

Alles Kultur, Fazit 166 (Oktober 2020), Foto: Wolfgang Rappel

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