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Wie kommt das Salz ins Kernöl

| 10. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 177, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Thomas Hartlieb stellt in seiner Ölmühle im südsteirischen Heimschuh in vierter Generation Kürbiskernöl und weitere zwei Dutzend verschiedene Speiseöle her. Wie aus einer Getreidemühle aus dem 19. Jahrhundert und einem Sägewerk ein gut besuchtes Ölparadies und Ausflugsziel wurde, warum Kernöl niemals salzig sein sollte und ob der steirische Ölkürbis ein echter Steirer ist, hat Fazit versucht herauszufinden.

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Wenn der gemeine Steirer »Kernöl« sagt, meint er immer Kürbiskernöl. Obwohl er weiß, dass das Unsinn ist. So wie der Schwede weiß, dass sich aus jedem Gräschen ein Schnaps brennen lässt, weiß der Steirer, dass sich aus jedem Kern ein Öl pressen lässt. Zumindest der Südsteirer. Zumindest einer wie Thomas Hartlieb. Er ist Ölmüller und seine Ölmühle steht im südsteirischen Heimschuh. Das ist später noch von Bedeutung. Hartlieb presst zur Zeit Öle aus 24 verschiedenen Kernsorten und eröffnet uns Unwissenden damit seltene wie ungeahnte neue Geschmackswelten. Wer weiß schon, wie Marillenkernöl schmeckt? Ja, Auskenner vermögen das zu erraten – es schmeckt nach Mandeln und riecht nach Marzipan. Aber haben Sie es schon einmal in einer Gemüsecremesuppe verkostet? Eben. Thomas Hartlieb, der den Betrieb in vierter Generation führt, weiß aber noch viel mehr und konnte mir eine alte Geschichte meines Vaters bestätigen, die noch dazu zu beweisen scheint, dass der steirische Ölkürbis, Cucurbita pepo var. styriaca, tatsächlich ein geborener Steirer ist, entsprungen der heimischen Scholle – Peter Rosegger hätte seine Freude gehabt, aber er hat ihn in dieser Form wahrscheinlich nicht gekannt, als er 1918 verstarb. Denn es ist erst ziemlich genau 100 Jahre her, als in der Süsteiermark bei den Ölkürbissen mit hartschaligem Kern eine Mutation entdeckt und weitergezüchtet wurde. Sie hat keine Schale um den Kern, genauer nur ein dünnes Häutchen. Damit entfiel die mühevolle, meist im Winter ausgeführte Arbeit für die Bauern, nach dem Trocknen der Kerne jeden einzelnen schälen zu müssen. Den Erzählungen meines Vaters nach tauchte die Mutation in der Oststeiermark Ende der Neunzehnzwanziger-, Anfang der Dreissigerjahre auf. Hartlieb: »Das Kürbiskernöl galt noch lange Zeit als Arme-Leute-Öl«. Das hat sich bekanntlich gewaltig geändert.

Foto: Heimo Binder

Suchtgefahr
Der Kürbis, von dem es mehr als 600 Sorten gibt, stammt ursprünglich aus Südamerika und ist in der Südsteiermark seit mehr als 300 Jahren bekannt. Wie das Öl seinerzeit hergestellt wurde, wird im frei zugänglichen Museum im Mühlenboden anhand der alten Originaleinrichtung anschaulich dargestellt und es ist klar erkennbar, dass es sich hier auch um eine Getreidemühle gehandelt hat. Außerdem stand hier noch ein Sägewerk. Im Erdgeschoß neben dem Verkaufsladen trifft die Geschichte auf das Heute. Hier kann man jederzeit bei der zeitgemäßen Herstellungsmethode des Öls zusehen. In Hotels werden bekanntlich Duftstoffe eingesetzt, damit sich die Gäste wohlfühlen, hier sorgt der betörende Duft frischen Kernöls dafür, dass kaum ein Besucher dem Warensortiment widerstehen kann. Dass die meisten Leckerlis auch noch frank, frei und problemlos zu verkosten sind, gehört eigentlich verboten. So groß sind Sucht- und Abhängigkeitsgefahr angesichts von mit Schokolade, Wasabi, Karamell und Co überzogenen Kürbiskernen, diversen Mehlen und Mehlzusätzen, (Brot-)Backmischungen, Nudeln, Pestos, Marmeladen (von Isabellatrauben bis Kriecherl vulgo Mirabellen) und Fruchtaufstrichen, steirischem Reis, Gewürzen, Senfen bis zu Kochbüchern – teils aus eigener Produktion, teils Handelsware. Und im Onlineshop gibt es noch viel mehr. Während die unzähligen Essig- und Essigbalsamsorten von Apfel über Brombeer bis zu Zitrone und Schalotten wegen des hohen Säuregehalts eher nur für hartgesottene Degustationsprofis sind, scheint bei der Verkostung der erwähnten 24 von Hartlieb selbst hergestellten, teils seltenen Öle die Ausschaltung des freien Willens Programm. Nur zur Appetitanregung ohne Kommentar: Distelöl, Mohnöl, Pistazienöl, Leinöl, Leindotteröl, Sonnenblumenöl, Pinienöl, Macadamianussöl, Mandelöl, Schwarzkümmelöl, Hanföl, Traubenkernöl. Das war gerade einmal die Hälfte der Produktion. Der Schlüssel zur Qualität ist wohl das Zusammenspiel von Güte der Kerne und traditionellem Ölmüllerhandwerk bei Hartlieb. Das Pressverfahren gestaltet sich je nach Kernsorte unterschiedlich: »Bis wir die Parameter für eine neue Ölsorte optimiert haben, vergeht bis zu einem halben Jahr.« Dabei kommt ihm die Erfahrung von mehr als einem Jahrhundert und vier Generationen bei der Produktion von steirischem Kürbiskern- und Walnussöl zugute. »Das Endprodukt muss sich durch bestmöglichen Geschmack auszeichnen«, so der Ölmüller. Auch, wenn dabei die Geschwindigkeit der Herstellung geringer sei im Vergleich zu quasi automatisierten Ölproduktionen.

Kernölmuseum
Als Thomas‘ Urgroßvater Karl Hartlieb 1907 die Getreidemühle mit Sägewerk aus dem Jahr 1898 erwarb und nur wenige Jahre später eine kleine Ölmühle einrichtete, war diese für die ruhigen Wintermonate in der Müllerei gedacht. Die nahe Sulm lieferte die Energie für den Betrieb, doch ständige Hochwasser bereiteten große Probleme. Großvater Albin modernisierte die Ölmühle 1957 und stattete sie mit einer gusseisernen Röstpfanne mit Rührwerk und mit einer modernen Hydraulikpresse aus, deren Zylinder aus einem alten Kanonenrohr gefertigt war. »Diese Presse ist nach der Generalüberholung im Jahr 2005 nach wie vor in Betrieb«, so Thomas Hartlieb. Als in den 1960-er Jahren im Zuge der Sulmregulierung die Wasserkraft wegfiel, stellte sein Großvater die Getreidemüllerei zur Gänze ein. Mit dem aus dem Verkauf des Wasserrechts erworbenen Kapital schaffte er eine neue Bandsäge an und konzentrierte sich neben dem sogenannten Landesproduktenhandel vor allem auf den Betriebszweig Sägewerk und die Herstellung von Mischfutter. Thomas‘ Vater Gerhard schließlich erbaute im Jahr 1985 ein neues modernes Bandsägewerk, das in den folgenden 20 Jahren den wirtschaftlichen Bestand des Unternehmens sicherte. In dieser Zeitspanne wurde die Ölmühle aber zu einem immer wichtigeren Geschäftszweig. Insbesondere die Nutzung des Betriebsstandortes mitten im südsteirischen Weinland als touristisches Ausflugsziel war Gerhard Hartlieb schon früh ein Anliegen. Im Zuge der Landesausstellung »Weinkultur« in Gamlitz 1990 richtete er einen kleinen Schauraum mit alten Geräten und Werkzeugen zur Kernölherstellung ein und öffnete die Türen der Ölpresse für jedermann, was damals noch eher ungewöhnlich war. Die ständig steigenden Besucherzahlen brachten der Sammlung bald den Titel »Kernölmuseum in Heimschuh« ein. Thomas Hartlieb, der jetzige Chef, übernahm das Unternehmen im Jänner 2000: »Wir haben 2004 mit dem Neubau der Ölmühle begonnen und ein Jahr später in Betrieb genommen. Jetzt erfüllt die Mühle auch die strengen Auflagen bezüglich der Betriebshygiene im Lebensmittelbereich.« Die größte Herausforderung für ihn war, das über Generationen erworbene Wissen um die Herstellung hochwertiger Öle anzunehmen und den heutigen Gegebenheiten anzupassen, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen.

Foto: Heimo Binder

200 Tonnen Kürbiskerne
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Sägerbranche machte Ende 2006 die Stillegung des Sägewerks notwendig. Die Maschinen wurden verkauft, die Halle zu einer ohnehin bereits dringend benötigten Lagerhalle für Rohstoffe zur Speiseölerzeugung umgebaut. Der adaptierte 120 Quadratmeter große Ausstellungsraum im Obergeschoß, der Mühlenboden der ehemaligen Getreidemühle, zieht mit der Ausstellung »Kernöl einst und jetzt« pro Jahr mehr als 10.000 Besucher an und hat sich zu einem wettersicheren Ausflugsziel entwickelt . »Wenn man die tägliche Laufkundschaft mitzählt, werden es schon 20.000 sein«, so Hartlieb. Schließlich ist sein Betrieb von Montag bis Samstag geöffnet und produziert an den Wochentagen in zwei Schichten, um der Nachfrage gerecht zu werden. 200 Tonnen Kürbiskerne werden pro Jahr verarbeitet und ergeben eine Ausbeute von 80.000 Liter Kernöl. Zwei Drittel davon als Lohnpressung für die Bauern. Hartlieb selbst betreibt keine Landwirtschaft, sondern kauft die Kerne im Umkreis von 20 Kilometern zu und dieses sein Drittel unter eigenem Namen. Die Abfüllung erfolgt erst nach rund eineinhalb bis zwei Wochen, weil sich das Öl setzen muss, im Verkauf ist es bei Thomas Hartlieb nie älter als zwei Wochen. 15 Mitarbeiter erwirtschaften so einen Umsatz von zwei Millionen Euro im Jahr. Rund 60 Prozent der verkauften Öle sind Kürbiskernöl. Ein Liter kostet zur Zeit 24,80 Euro, ab Hof 21,50 Euro. Für einen Liter Kernöl werden zweieinhalb Kilogramm Kerne benötigt – »das sind 35 bis 40 Kürbisse«, so der Ölmüller. Seit 1998 gibt es für das steirische Kürbiskernöl den strengen Marken- und Herkunftsschutz innerhalb der EU, eine Plakette mit dem Zusatz »ggA«, was für »geschützte geografische Angabe« steht. Denn die größte Anbaufläche des steirischen Ölkürbis ist heute bereits Niederösterreich. Aber neben den Kriterien »Herkunft der Kerne« und »Kernsorte« muss auch der »Standort der Mühle« – nämlich in der Steiermark – erfüllt sein. Daher auch eingangs die Erwähnung, dass sich die Ölmühle von Hartlieb in Heimschuh befindet. Insgesamt gibt es in der Steiermark etwa 35 Ölmühlen. »Und mit der Prüfnummer kann der Flascheninhalt bis zum Acker rückverfolgt werden«, sagt Thomas Hartlieb.

Foto: Heimo Binder

Die Salzsache
Viertes Kriterium ist die Produktionsmethode, die sich aus vier Arbeitsschritten zusammensetzt: mahlen, kneten, rösten, pressen. Was so einfach klingt, ist in Wahrheit die Kunst. 60 Kilo Kerne – so viel fasst die große Presse – müssen vor dem Mahlen getrocknet sein. Die kleinere 30-Kilo-Presse ist im Übrigen für die anderen Öle da. Der entstandene Kernbrei wird in der Folge mit 10 bis 15 Liter heißem Wasser und rund 500 Gramm Salz versetzt, weil sich sonst Öl und Eiweiß nicht trennen. Das nicht fettlösliche Salz dient bei diesem als Denaturierung bezeichneten Vorgang nur als Hilfsstoff und bindet beim anschließenden Röstvorgang das durch die Temperatur verfestigte Eiweiß (Konditionierung) und so wie das Wasser sich durch Verdampfung verflüchtigt, erhält auch das Salz keinen Zugang zum Öl. Hartlieb: »Wenn Kernöl salzig schmeckt, dann muss das Salz nachträglich zugefügt worden sein.« Das wollte ich schon immer wissen. Erfahrung und Geschick sind für die Qualität ausschlaggebend. Der Röstprozess bei rund 100 Grad dauert etwa 45 bis 60 Minuten: »Aber erst in den letzten fünf bis sieben Minuten entstehen die Röstaromen.« Es wird mild-feinnussig bis kräftig würzig mit feinen Karamell- bis Kaffeetönen. Dieser Vorgang wird durch den Ölpresser gesteuert und ist daher eine handwerkliche Fertigung. Er benötigt neben Erfahrung auch sehr gute Produktkenntnisse. Dieses Wissen wird im Detail von Generation zu Generation weitergegeben. Das anschließende Pressen ist weniger geheimnisvoll, eher eine Frage von Kraft. Wer es wissen will: Pressdruck 300 Kilo pro Quadratzentimeter. Der Presskuchen wird vermahlen und als Tierfutter genutzt. Nach den erwähnten zwei Wochen im Lagertank aus Edelstahl haben sich die Schwebstoffe abgesetzt, das Öl wird in Flaschen gefüllt, fertig.

Ölmühle Hartlieb
8451 Heimschuh, Mühlweg 1
Telefon +43 3452 825510
hartlieb.at

Fazitportrait, Fazit 177 (November 2021) – Fotos: Heimo Binder

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