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Europas Fähigkeit zur Selbstkorrektur

| 12. Oktober 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Aktuell, Fazit 186

Foto: Elisabeth Mandl

Thomas Goiser hat für uns beim Europäischen Forum in Alpbach ein Gespräch mit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitikexpertin Daniela Schwarzer geführt.

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Über zwei Wochen fanden sich zwischen Ende August und Anfang September knapp 3.800 Teilnehmende aus rund 100 Nationen im Tiroler Bergdorf ein. Sie diskutierten die drängenden großen und miteinander vernetzten Herausforderungen der Welt – insbesondere den Ukrainekrieg, die globale Ungleichheit, Digitalisierung und Klimakrise. Mit »Sicherheit« als einem der vier Schwerpunktthemen rückte das sonst in Österreich und Europa unterbelichtete Thema stärker in den Fokus.

Die neue Struktur der Veranstaltungen sowie zahlreiche neue Formate forderten die Teilnehmer etwas, eine neue App förderte Kontaktaufnahme und dann persönlichen Dialog. Verstärkt setzte das Forum heuer auf den Dialog zwischen den Generationen – insgesamt nahmen rund 600 Stipendiatinnen und Stipendiaten teil, davon 25 aus der Steiermark.

Frau Schwarzer, wie beurteilen Sie die Sicherheit Europas aktuell?
Daniela Schwarzer: Im Moment erleben wir hier eine sehr herausfordernde Situation. Der militärische Konflikt in der Ukraine zeigt uns Versäumnisse auf, auch bei der Energie- und in der Cybersicherheit haben wir Nachholbedarf. Aber Sicherheit ist ein Grundpfeiler, auf dem ein demokratisches und freies Europa basiert. Vor kurzem noch standen die Zeichen weltweit eher auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Öffnung. Aktuell sehen wir starke autoritäre Tendenzen in vielen Staaten in- und außerhalb Europas. Der Systemkonflikt zwischen China und Russland gegenüber Demokratien ist in Europa ganz konkret zu sehen. Die Open Society Foundations setzen sich hier für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein. Wir sind mit unserer Arbeit zur Förderung von Zivilgesellschaft und Demokratie mittendrin.

Sie sind für Europa und Zentralasien zuständig. Wie sind Sie dabei organisatorisch aufgestellt?
Wir haben große Büros in Berlin, London, Brüssel und Barcelona. Außerdem sind wir in den Westbalkan-Ländern, in Osteuropa und bis in die Länder Zentralasiens mit unserem Netzwerk präsent. In den Westbalkan-Ländern ist uns das Thema regionale Integration, Zusammenarbeit und Aussöhnung besonders wichtig. In Ungarn hatten wir ein sehr großes Büro und dort wurde auch die Central European University gegründet. Diese Universität musste unter dem Druck von Viktor Orbán Budapest verlassen und ist nun in Wien angesiedelt. In Österreich sind wir Partner des Europäischen Forum Alpbach und tauschen uns immer wieder mit der österreichischen Regierung über Themen wie etwa die Lage am Westbalkan aus.

Wie beurteilen Sie die Situation für die Demokratie in Ungarn?
Ungarn ist ein sehr ernst zu nehmender Fall, es wird von der EU nicht mehr als vollwertige Demokratie angesehen. Es ist offen, welche Entwicklung dieses Land nehmen wird.

Wie erleben Sie als Organisation direkte Bedrohungen?
Wir haben in der Ukraine eine Stiftung mit rund 50 Beschäftigten, die sich im Krieg an den einzelnen Standorten immer wieder bedroht fühlen müssen. Alle konnten freiwillig ihre Standorte jederzeit verlassen. Viele möchten aber von sich aus dortbleiben oder gar kämpfen. Wir waren sehr gut vorbereitet und haben auch NGOs und Partner vor Ort unterstützt.

Die Open Society Foundations haben in den vergangenen Jahren immer mehr im Bereich Aufklärung gegen Desinformation investiert.
Hier haben wir einen Schwerpunkt der – leider – wächst. Die Bedrohung durch Cyber-Risiken und Desinformation steigt, das Thema hat Hochkonjunktur seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2014. Die Bemühungen öffentlicher Einrichtungen wie des Stratcom-Centers der NATO in Riga oder der Europäischen Kommission mit einer eigenen Einheit reichen nicht aus. Wir fördern deswegen zivilgesellschaftliche Akteure, politische Entscheider und sind im Bereich der Regulierung gemeinsam mit Partnern aktiv. Da sind wir in Europa und Zentralasien besonders gefragt – und im Verbund mit allen sechs Regionen der Open Society weltweit.

Wie hat sich Ihr Blick auf Europa im Lauf der Jahre verändert?
Man fühlt sich stärker als Europäerin, wenn man länger in den USA ist. Meist wird unterschätzt, dass Europa die Fähigkeit zur Selbstkorrektur hat. Die Fehler, die etwa in der Euro-Krise oder zu Beginn der Covid-Krise gemacht wurden, werden sehr deutlich gesehen. Aber Europa weiß, was es bedeuten würde, wenn die Gemeinschaft nicht mehr funktionieren würde. Vieles muss bei 27 Mitgliedstaaten länger verhandelt werden und Kompromisse müssen gefunden werden, bevor es hält.

Haben wir zu wenig in Rüstung investiert und 30 Jahre auf Kosten der USA gelebt?
Wir haben uns von den USA schützen lassen. Die USA sind durch die NATO der wichtigste Sicherheitsgarant Europas. Als Donald Trump Präsident wurde, hat Europa den ersten Schreck bekommen. Er hat Europa deutlich daran erinnert, dass die Zusage der NATO-Staaten, die Verteidigungsausgaben auf 2% des BIP zu erhöhen, von vielen Ländern – auch von Deutschland – nicht eingehalten wurde. Aktuell ist die Bedrohung durch Russland sehr stark spürbar. Die strategischen Interessen der USA sind Stabilität und Friedlichkeit Europas, daneben laufen sie zunehmend Richtung Asiens. Europa muss nachholen und seine Sicherheit selbst stärker schützen.

Wie soll das aus Ihrer Sicht geschehen?
Staatsausgaben können rasch erhöht werden, doch damit ist Sicherheit noch nicht gekauft. Die Entwicklungszyklen für neue Systeme dauern 15 und mehr Jahre. Wir müssen daher das Geld intelligenter ausgeben und uns fragen: Wer hat welche militärischen Fähigkeiten in Europa und wie können wir sie besser und mobiler einsetzen? Neue technologische Entwicklungen im zivilen und militärischen Bereich sind sehr teuer. Die Staaten Europas sollten untereinander und mit Partnern enger zusammenarbeiten und die technologische Aufholarbeit gemeinsam bewältigen – im militärischen und im zivilen Bereich, wo wir sehr verwundbar sind.

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Daniela Schwarzer ist Direktorin einer der führenden Denkwerkstätten Europas und ausgewiesene Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik. Sie leitete von 2016 bis 2021 die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist Autorin des im Vorjahr erschienenen Buchs »Final Call« über das Verhältnis der USA zu China. opensocietyfoundations.org

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Europäisches Forum Alpbach, Fazit 186 (Oktober 2022), Foto: Elisabeth Mandl

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