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Gruß aus der Küche

| 14. November 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 187, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Eines der schönsten Geschäfte in Graz – innen wie außen – befindet sich in der Reitschulgasse. Ernst Frudinger betreibt hier in einem ehemaligen Brautmodengeschäft ein Küchenfachgeschäft, das auch über eine große Auswahl an delikaten Accessoires verfügt, die nicht immer etwas mit Kochen zu tun haben. Zum Beispiel Panamahüte. So viel wie er verkauft davon keiner.

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Es ist erstaunlich, wie viel Küchenliteratur es gibt. Das ist nicht in abwertendem Sinn gemeint, hat also nichts mit Lesen, sondern vielmehr mit Kochen zu tun. Die Küche ist zumeist jener Platz im Haushalt, wo es sich abspielt, das Leben. Genuss und Verzweiflung, Streit und Versöhnung – alles ist möglich in der Küche. Natürlich auch lesen, schließlich sind Kochbücher ein nicht unwesentlicher Faktor in der Gesamtheit der Bücherwirtschaft. Was den abwertenden Charakter des Ausdrucks »Trivialliteratur« in gänzlich anderem Licht erscheinen lässt. Trivial im Sinne von »allgemein verständlich« und »leicht zu erfassen« sind Kochbücher nicht unbedingt. Man denke an Begriffe wie nappieren, blanchieren, medium, saignant oder à point. Auskenner wissen natürlich Bescheid.

Foto: Heimo Binder

Die Küche ist in vielen Familien nicht nur ein Treffpunkt, wo sich die Familienmitglieder trotz vollen Zeitplans wenigstens auf einen Morgenkaffee treffen, sondern auch das Organisationszentrum. Zum Beispiel mit der am Kühlschrank angebrachten Aufgabenliste für die Familienmitglieder oder der Einkaufsliste. Die Küche als Kommandozentrale ist im übertragenen Sinn ein gefundenes Fressen für die Soziologie, die etwa folgendes Bild entwirft:

Die menschliche Mahlzeit hat etwas Archaisches. Essen ist erlaubte Regression, sublimiert durch die kulinarische Raffinesse. Beim Kochen zuzuschauen, verspricht somit doppelten Genuss. Die Mahlzeit zählt zu den elementaren Formen des Lebens und ist von daher im Kern sozial gerahmt. Die Wohnraumflucht, die den Menschen in der Moderne zugemutet wird, findet eine Grenze, und das ist die Küche. Sie wird zum Basislager für Leute, die ständig unterwegs sind, unterwegs zum fantasierten Gipfel. Es wird eine Küchenaufwertung kommen, auch für diejenigen, die sich dort gar nicht mehr treffen und die nur noch die Idee eines Zusammentreffens pflegen. – Soviel zur Theorie.

Der Frudinger
Ernst Frudinger ist ein Mann der Praxis. Er betreibt in der Grazer Reitschulgasse ein Küchenfachgeschäft und verfügt über jahrezehntelange Erfahrung. Mit den Theorien der Soziologie stimmt er nicht ganz überein, insbesondere was die Wertigkeit der Küche an sich betrifft. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass er als »Nachkriegskind« schon 75 Sommer gesehen hat und sein Erfahrungsschatz bis in die Zeit der holzbeheizten Tischherde zurückreicht. Für die gesamte Entwicklung der Küche seit damals ist »der Frudinger«, wie er seit jeher genannt wird, ausgewiesener Zeitzeuge, zumal er von der Schule weg in dieser Branche geblieben ist. Zugegebenermaßen ein parteiischer Zeuge, weil er immer für und mit Bosch gearbeitet hat. Da Boschgeräte seit jeher von höherer Wertigkeit sind – und das bezieht sich sowohl auf die Qualität wie auf den Preis – rekrutieren sich Frudingers Kunden vor allem via Mundpropaganda oft aus wohlhabenden Kreisen. Die Bedeutung der Küche war immer hoch, auch die Wertigkeit sei früher immer gestiegen, aber seit einigen Jahren habe sich das geändert. Ernst Frudinger: »In den Achtzigerjahren bis in die Zweitausender haben wir fünf bis zehn Küchen im Monat verkauft, heute sind es noch rund zehn Küchen im Jahr. Bis vor vier, fünf Jahren haben sich die Umsätze zwischen zwei und drei Millionen Euro bewegt, dann ist es ruhig geworden. Und dann noch die Coronazeit.«

Der Weg in die Selbständigkeit
Boschküchen im engeren Sinn gibt es übrigens schon lange nicht mehr. »Die Geburtsstunde der Boschküche war im Jahr 1968, da wurde die erste Boschküche gefertigt«, so Zeitzeuge Frudinger. Wenn heute von Bosch die Rede ist, sind damit nur die Geräte gemeint, während früher die gesamte Küche von Bosch gefertigt wurde: »In Einbeck bei Hannover ist das sechstgrößte Möbelwerk gestanden.« Frudinger war damals als Leiter der Hausgeräteabteilung von Bosch am Grieskai angestellt, wo er ab 1961 als Kältetechniker ausgebildet wurde. In der Folge eröffnete Bosch ein sogenanntes Beratungszentrum in der Grazbachgasse, heute befindet sich dort der Schlüsseldienst Gapp. In diesem Studio wurden zunächst die technischen Geräte vorgeführt, so zum Beispiel Bügelautomaten oder Blaupunkt-Radios. Als die Küchen kamen, war Frudinger bereits Leiter des Studios und sorgte für guten Umsatz. Doch Anfang der Siebzigerjahre kamen von Bosch eindeutige Signale, dass man an einem eigenen Küchenstudio nicht mehr interessiert war. Frudinger konnte den Markt gut einschätzen und erkannte – zumindest theoretisch – die Chance, selbständig zu werden. Obwohl es gar nicht sein Ziel war, eher im Gegenteil: »Ich habe damals super verdient, mit Diäten, Kilometergeld und so weiter waren das oft 100.000 Schilling im Monat. Zunächst habe ich mir also eher Sorgen gemacht, wie ich als Selbständiger das Benzin zahlen soll.« Da wusste er noch nicht, wie großzügig und aus heutiger Sicht unkonventionell von der Bosch-Seite agiert werden sollte. Mit seiner Abfertigung von »unter 50.000 Schilling« konnte er Bosch das Studio abkaufen. Es war Sommer, und als er gefragt wurde, wann er beginnen möchte, schlug er das folgende Geschäftsjahr, also den kommenden Jänner vor. »Aber ich durfte schon ab Sommer auf eigenen Namen fakturieren, sodass ich am Jahresende ein dickes Bankkonto hatte. Und das alles ohne schriftliche Verträge, alles wurde nur mündlich abgewickelt«, freut er sich heute noch.

Zweimal Grazbachgasse
So also startete Bosch-Frudinger in der verkehrsreichen Grazbachgasse. Viele haben dort ihre Küche gekauft, aber noch mehr kannten und kennen heute noch das Geschäft bloß vom Vorbeifahren mit dem Auto. Das war nämlich Problem Nummer eins: Einen Parkplatz zu finden war so gut wie aussichtslos und Laufkundschaft gibt es in derart stark befahrenen Strassen kaum. Problem Nummer zwei war die Höhe der Miete: »Die 70 Quadratmeter haben 25.000 Schilling gekostet.« Und das vor mittlerweile genau 50 Jahren. Schon damals verstand es der Geschäftsmann, in den riesigen Auslagen neben den Küchen ein verlockendes Ambiente zu schaffen, indem er etwa exklusive, hochpreisige Möbel und Wohnaccessoires von Lambert oder auch Panamahüte präsentierte und überraschenderweise mehr Hüte verkaufen konnte als die Hutgeschäfte. Und nebenbei neue Kunden für die Küchen akquirierte. Nach einigen Jahren wurde ein Geschäftslokal genau gegenüber auf der anderen Seite der Grazbachgasse frei und Frudinger konnte zumindest Problem Nummer zwei lösen: Er siedelte mit seinem Küchenstudio buchstäblich nur über die Strasse und erhielt dafür mit 125 Quadratmetern statt für sechs Küchen Platz für dreizehn. »Und die Miete war um 5.000 Schilling billiger.«

Foto: Heimo Binder

So wie er den Anfang der Bosch-Küche 1968 erlebte, bekam Frudinger auch hautnah das Ende zu spüren. Die österreichischen Bosch-Eigentümer hatten eines Tages schließlich alles verkauft und von Bosch-Deutschland kam das »Aus« für die Küche, genauer für die Fertigung der Küchenmöbel. So musste sich der Händler Frudinger noch mehr als Küchenplaner einbringen, was er ohnehin schon immer mit großer Leidenschaft gemacht hat und worin er auch ein Geheimnis seines Erfolges sieht. Eine gute Planung kann eben durch nichts ersetzt werden. Verwöhnt von Bosch-Qualität, führte ihn seine Suche nach Küchenmöbel bis nach Sacile in Italien. Dort fand er im Unternehmen »Antares« einen geeigneten Hersteller für seine hohen Ansprüche und arbeitet bis heute mit diesem Partner zusammen. Im Übrigen hat Frudinger noch ein »Geheimnis«. Seine Geschäftsbeziehung mit einem großen Bauträger sorgte immer wieder für große Aufträge. Allein für ein Projekt in der Körösistraße wurden 68 Küchen fällig.

In der Reitschulgasse
Vor mittlerweile 19 Jahren hat Ernst Frudinger das Problem Nummer eins gelöst und unsere Leserreise ist am Ziel: in der eingangs genannten Reitschulgasse mit viel Laufkundschaft. Hinter dieser äußerst markanten, weil mit viel Chrom versehenen Eingangstür, die genauso wie die große, chromgefasste Auslage üppig von steirischem Marmor umrahmt ist, befand sich zuvor viele Jahre lang ein Brautmodengeschäft. Mit der Lage ist Frudinger sehr zufrieden: »Schon beim Einräumen des Geschäfts haben wir Sachen verkauft. Noch bevor ich einen Kasten von Lambert reintragen konnte, hat ihn eine Dame um 2.500 Euro gekauft.« Viele Leute bleiben stehen, weil sie in der Auslage Dinge sehen, die irgendwie besonders sind. Aus glattem Metall, aus schönem Holz, aus reinem Kupfer oder einfach knallrot. Eine schlichte Holzscheibe von Zassenhaus bringt einen schneeweißen Mörser mit einem dunklen Stampfer aus Holz zur Geltung, Ölivenölkännchen aus Metall mit italienischer Aufschrift machen Appetit, teure Kaffeemühlen aus Olivenholz stimmen nostalgisch, aber die klare Auspreisung der Waren und die günstigen Mokkakocher von Bialetti veranlassen immer wieder auch junges Publikum, die Hemmschwelle an der Tür zu überwinden und durchwegs edles Küchenzubehör und Accessoires wie Dufflebags und doppelseitige Schürzen aus Dirndlstoff im Geschäft selbst zu entdecken. Und manchmal wohl auch eine Küche. »Zuerst frage ich immer nach dem Budget und damit versuche ich das Beste rauszuholen«, so der passionierte Küchenplaner. Sein kleinster Küchenauftrag war übrigens eine Teeküche um weniger als 15.000 Schilling (1.000 Euro), der größte eine Küche für Graf Batthyany um eine Million Schilling (73.000 Euro) in den Achtzigern.

Und was hat noch einmal der Vermieter von der Reitschulgasse gesagt? »Herr Frudinger, ich kenne Sie vom Vorbeifahren aus der Grazbachgasse, aber ich habe dort nie einen Parkplatz bekommen.«

Ernst Frudinger Bosch Küche
8010 Graz, Reitschulgasse 3
Telefon +43 316 826152
boschkueche.at

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