Anzeige
FazitOnline

Retter der Schildkröten

| 6. April 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 191, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Seit vierzig Jahren beschäftigt sich Peter Praschag mit Schildkröten. 2013 gründete er mit »Turtle Island« eine Arche zur Rettung und Nachzucht der Tiere. Ohne seine Hilfe wären schon viele Schildkrötenarten ausgestorben. Sein Ziel ist es, aus dieser weltweit größten Schildkrötensammlung mit 2.500 Exemplaren von mehr als 200 Arten den ersten Zoo von Graz zu entwickeln.

::: Hier im Printlayout online lesen

Es gibt Kinderfotos von Peter Praschag, die zeigen ihn schon als Vierjährigen mit einer Schildkröte in Händen, sein erstes Wort – noch vor »Mama« – war »Goti«. Schildkröte konnte er noch nicht aussprechen. »Turtle Hero« heißt eine »Universum«-Sendung über ihn und sein Turtle Island, als »Grazer Indiana Jones« wurde er in anderen Medien schon bezeichnet. Der 49jährige promovierte Biologe, genauer Zoologe, ist mit seiner schulterlangen gelockten Haarpracht, die er meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trägt, in der Tat eine interessante Erscheinung. Seine zurückhaltende Art kontrastiert mit dem Bild, das die Universum-Folge von ihm zeichnet. In Flüssen stehend und tauchend, auf Geländemotorrädern über morsche Holzbrücken in Südostasien brausend, immer auf der Jagd nach den letzten Exemplaren von aussterbenden Schildkrötenarten, um sie zu retten und nachzuzüchten. Und genau dafür zählt Graz auf der ganzen Welt zu den ersten Adressen. Genauer gesagt befindet sich im Grazer Turtle Island die mit Abstand bedeutendste Schildkrötensammlung des Planeten. Peter Praschag: »Es gibt 360 verschiedene Arten von Schildkröten, wir haben 210 davon, insgesamt also 58 Prozent aller Schildkrötenarten.« Zurzeit sind 2.500 Schildkröten auf die vier Standorte Graz-Straßgang, Graz-Puntigam und -Liebenau sowie Deutschlandsberg aufgeteilt. Neun Mitarbeiter und mehrere Freiwillige sind für die Pflege notwendig.

Weltweite Anerkennung
60 Prozent der 360 Arten sind vom Aussterben bedroht. Peter Praschag, der die Passion für Schildkröten von seinem Vater Reiner übernommen hat, hat sich zu einem Experten entwickelt, der weltweit Anerkennung findet. Erst im Februar ging die Meldung durch die Medien, dass in Deutschlandsberg erstmals die Nachzucht der gefährdeten und weltweit kleinsten Schildkrötenart, der Vallarta-Schlammschildkröte, gelungen ist. Derartige »Sensationsmeldungen« stehen bei Turtle Island quasi auf der Tagesordnung. So konnte zum Beispiel vor einiger Zeit weltweit erstmals die seltene Rotrückige Klappen-Weichschildkröte nachgezüchtet werden.

»Die Nachzucht von bedrohten Schildkrötenarten ist seit der Gründung von Turtle Island einer unserer Schwerpunkte. Bis dato ist uns die erfolgreiche Erhaltungszucht von mehr als 170 Arten gelungen, davon mehrere Welterstnachzuchterfolge, die konstante Nachzucht von 35 der Top 50 gefährdetsten Arten sowie die erfolgreiche Nachzucht von 14 der 19 gefährdetsten Arten, darunter von drei in der Natur bereits ausgestorbenen Arten«, so Praschag. Die aktuellen Zahlen sprechen für sich: 2022 sind 447 Schildkröten von 63 verschiedenen Arten geschlüpft, wobei 10 Arten zu den Top 25 mit der höchsten Gefährdungsstufe gehören.

Foto: Heimo Binder

Von den vier Standorten sind in Österreich zwei als Zoo der Kategorie A anerkannt, einer ist ein Tierheim für nicht mehr gewollte Schildkröten, die auch weitervermittelt werden. Dass es vier Standorte gibt, ist allerdings schon aus logistischen Gründen auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten. Praschag: »Es ist extrem schwierig, für verschiedenen Standorte Angestellte, Futter, Inkubatoren und alles, was man so braucht, zu koordinieren. Und ich verliere unendlich viel Zeit im Auto, um zwischen den verschiedenen Standorten im Verkehr herumzugondeln.« Das Ziel sei daher ein einziger Standort und zwar in Form eines richtiges Zoos, mit Schwerpunkt Schildkröten, unter dem Aufhänger »die größte, wichtigste und umfassendste Schildkrötensammlung der Welt«. Praschag: »Jetzt haben wir eine Mittelgröße, mit der man schwer leben kann: Es sind genug Angestellte da, dass echte Kosten entstehen, aber wir sind nicht groß genug, dass wir durch Besucher genug Einnahmen kreieren könnten. Unsere Standorte sind dafür nicht attraktiv genug, sie sind zwar funktionell, sodass wir die Schildkröten halten und züchten können, sie sind aber nicht geeignet, um ein größeres Publikum empfangen zu können.«

Halsberger und Halswender
Schildkröten sind überaus faszinierende Tiere, deren archaische Schönheit sich in den Aquarien dem Betrachter besonders gut erschließt. Ihr Panzer ist ein evolutionäres Meisterwerk, das seit 220 Millionen Jahren gleichgeblieben ist. Er besteht aus zusammengewachsenen Rippen und Hautderivaten, und es ist einzigartig in der Evolution, dass Schultergürtel und Beckengürtel inklusiver aller Organe in den Rippenkorb hineinverlagert sind. Man unterscheidet insgesamt 14 Schildkrötenfamilien, 13 davon leben im Wasser. Es gibt also wesentlich mehr Wasserschildkröten als Landschildkröten, wobei vegetarische Wasserschildkröten übrigens die Ausnahme sind. Von den 360 Arten sind nur acht Meeresschildkröten, alle anderen leben im Süßwasser und an Land. Schildkröten sind eine »hochkonservative Lebensform«. Das heißt, dass sie gegenüber Veränderungen nur geringfügig anpassungsfähig sind. Peter Praschag: »Der Mensch verändert die Lebensräume ja in rasender Geschwindigkeit, da haben Schildkröten Probleme sich anzupassen. Deswegen sind rund 60 Prozent aller Arten vom Aussterben bedroht. Schildkröten und Menschenaffen sind die am stärksten bedrohten Wirbeltiergruppen, die wir kennen.« Die meisten Arten der Schildkröten sind – etwa im Gegensatz zu den Krokodilen – nicht kreuzbar, zumindest sind dann die Kreuzungen unfruchtbar. Denn Schildkröten haben sich schon sehr früh genetisch voneinander entfernt. Schildkröten werden in Halsberger – diese ziehen den Kopf teleskopartig ein – und Halswender eingeteilt. Letztere haben einen langen Hals, der seitlich eingewendet wird, wie zum Beispiel bei der Schlangenhalsschildkröte.

Durchbruch in der Forschung
Eine bedeutende Rolle spielen Schildkröten in der Mythologie: Am bekanntesten ist das Vorstellung, dass eine Schildkröte das Gewicht der Welt auf ihrem Rücken trägt. In der westlichen Welt spielen Schildkröten allenfalls in Kinofilmen eine gewichtige Rolle, so etwa in »Guardian of the Universe« oder in »Die unendliche Geschichte« (Schildkröte Morla: »Es spielt sogar keine Rolle, ob es eine Rolle spielt.«), während die Schildkröte im Hinduismus als zweite Reinkarnation von Schöpfergott Vishnu quasi heilig ist und als Glücksbringer in Fischteichen gehalten wird. Zugleich stehen bestimmte Schildkröten aber auf der Speisekarte der dortigen Bevölkerung, was in China dazu geführt hat, dass sie praktisch ausgerottet sind, aber auch in den Ländern zwischen Indien und Vietnam sind die wohlschmeckenden Arten äußerst rar geworden.

Foto: Heimo Binder

Im Jahr 2005 waren etwa von der Bagatur-Flussschildkröte nur mehr zwei lebende Exemplare bekannt. Ihre Nachzucht zählt zu den größten Erfolgen von Peter Praschag. Er wurde in Indien und Bangladesh zwar fündig, doch all jene mit Satelliten-Transmitter ausgestatteten Exemplare landeten in Kochtöpfen oder ertranken in Netzen. Doch das Zuchtprogramm von Turtle Island war erfolgreich, sodass es heute wieder mehrere hundert Exemplare gibt. Auch in der Forschung ist Praschags Non-Profit-Unternehmen federführend: In Graz gelang es von einigen Jahren erstmals herauszufinden, wie tiefgefrorene Schildkrötenspermien den Auftauprozess überleben. Damit war der Durchbruch für die künstliche Besamung von Weichschildkröten geschafft.

Ein Zoo für Graz
Ob sich die Gemeinde Graz, das Land Steiermark beziehungsweise Politiker, die etwa für Image und Fremdenverkehr zuständig sind, der Bedeutung dieser Leistungen und der Chancen, die damit verbunden wären bewußt sind? Peter Praschag schüttelt resigniert den Kopf: »Wir bekommen von der Stadt 30.000 Euro und von Land gerade einmal 2.500 Euro im Jahr. Vom Bund gibt es gar nichts.« Und er rechnet vor: Allein einer der vierzehn 500-Watt-Filter für die Aquarien verursacht Stromkosten von 1.000 Euro im Jahr. Mit Personalkosten, Erhaltungs- und Betriebskosten wie den gestiegenen Energiekosten kommt er auf Ausgaben in der Höhe von 40.000 Euro pro Monat. Einkünfte durch Besucher gibt es wie erwähnt auch nicht. Um Geld zu verdienen, arbeitet er zweimal pro Jahr für ein Projekt des US- Militärs in der Mojave-Wüste. Dabei ist er für die Betreuung von hochbedrohten Landschildkröten am Militärgelände zuständig. Die leben grundsätzlich unter der Erde und sind nur zweimal im Jahr aktiv, nämlich im April/Mai und im September/Oktober. »In diesen vier Monaten bin ich in den USA und daher hier nicht verfügbar.«
Mittlerweile hat ein Wettlauf mit der Zeit begonnen, denn die Spenden reichen noch etwa für zwei bis drei Jahre, so Parschag. Das Glück war eine Großspende in Höhe von 750.000 Dollar von einem UPS-Erben. Die Gelder und Spenden aus Österreich würden bei weitem nicht ausreichen, schon zuvor kamen 90 Prozent der Spenden aus den USA. Kürzlich hat Turtle Island in den USA einen sogenannten Fundraiser engagiert, der schlicht den Auftrag hat, Geld für die Organisation aufzutreiben.

Als nächstes Ziel peilt der Zoologe die Realisierung eines »richtigen« Zoos mit nur einem Standort an. Inhalt und rechtliche Voraussetzungen sind ebenso vorhanden, wie konkrete Konzepte. Denn Praschags Vater Reiner, der bei Konrad Lorenz studiert und über Aquarien- und Terrarienbauten dissertiert hat, war Architekt: »Daher gibt es Pläne mit allen Details. Was es nicht gibt, ist das Geld, um sie verwirklichen zu können.« Die Konzepte beginnen bei Kosten von 5 Millionen Euro, allerdings noch ohne Besucherattraktion. »Das wäre nur die ideale Unterbringung für alle Tiere, die wir jetzt haben.« Die große Variante wird mit rund 18 Millionen Euro beziffert. Praschag frohlockt: »Graz hat als zweitgrößte Stadt Österreichs bislang keinen Zoo.« Zur Frage, ob ein Zoo noch zeitgemäß sei, meint er: »Nicht ein Zoo, wie er vor 50 Jahren existiert hat, aber ein Zoo in der Funktion einer Arche. Es gibt ja Beispiele einiger Tierarten, die nur in Zoos überleben konnten. Vor 20 Jahren wurden auf südasiatischen Märkten Schildkröten zu tausenden für den menschlichen Verzehr angeboten, mittlerweile ist das illegal. Es findet zwar noch unter dem Ladentisch statt, aber in wesentlich geringerem Ausmaß. Diese Bewusstseinsbildung wird sich in den nächsten 20 Jahren noch mehr verstärken, das könnte die Zeit für die Auswilderung der Tiere sein. Und um diese Zeit bis dahin überbrücken zu können, brauchen wir für die Haltung und Unterbringung der Tiere Zoos.«

Dazu passt der Schlusssatz der Universum-Folge »Turtle Hero«: Peter Praschags Traum von der Rettung der Schildkröten könnte ein Anstoß sein, die letzten großen Naturräume auf diesem Planeten endlich wirksam zu schützen und so die Vielfalt der Arten zu bewahren.

Turtle Island
Graz und Deutschlandsberg
Telefon +43 664 2137045
turtle-island.at

Fazitportrait, Fazit 191 (April 2023) – Fotos: Heimo Binder

Kommentare

Antworten