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Warum?

| 10. Juni 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 193, Kunst und Kultur

Verlassene und vergessene Orte faszinieren uns. Georg Lux und Helmuth Weichselbraun haben einige von ihnen in Kroatien aufgespürt. Und erzählen ihre Geschichte(n).

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Es war Anfang der Neunzehnneunziger, als ich mit meinen Eltern auf der Insel Katarina auf Urlaub war. Die Insel liegt direkt vor Rovinj und besteht mehr oder weniger ausschließlich aus einem Hotel. Ich erinnere mich an einen Pool mit Salzwasser, an den Moment, an dem ich, noch Volksschüler, und meine Schwester, auch noch Volksschülerin, meine Eltern nicht mehr finden konnten – Sie raten richtig, wir haben sie wieder gefunden – und an eine Bootsfahrt. Die Bootsfahrt hatte, wie so viele adriatische Bootsfahrten vor und nach ihr, eine besonders einsame und wundervolle Bucht zum Ziel. Und doch war diese Bucht noch besonderer. Denn nur wenige Meter den Hügel hinauf hatte ich damals meine erste Begegnung mit einem Ort, der heute als »Lost Place« bezeichnet würde – ich entdeckte, gefühlt wie einst Howard Carter das Grab des Tutanchamun, als erster Mensch meiner Generation überhaupt, ein verlassenes Hotel. Eingeschlagene Scheiben, Matratzen, die noch so schön waren, dass sie nur auf Leintücher zu warten schienen, aber auch: ganz viele Gedanken und noch mehr Fragen: Was war das? Wie endete es? Und vor allem: Warum?

Fußabdrücke der Geschichte
»Lost Places sind Fußabdrücke der Geschichte eines Landes, auch der dunkelsten Stunden«, schreiben Georg Lux und Helmuth Weichselbraun in ihrem Vorwort des Buches »Lost Places in Kroatien«. Sie haben sich in einem der beliebtesten Urlaubsländer von Herr und Frau Österreicher auf Spurensuche nach verlassenen Casinos, Schnapsfabriken oder ganzen Städten gemacht. Es ist ein Reiseführer der anderen Art, der zumindest in mir mindestens ebenso großes Fernweh auslöst wie ein herkömmliches Handbuch für Urlaub. Im Internet sind verlassene Orte seit langer Zeit schon ein Renner, die Aufarbeitung von Lux und Weichselbraun geht aber tiefer als Instagrampostings. Sie recherchieren in die Tiefe und erzählen nicht zuletzt oft die politische Dimension hinter dem Ende eines einst prunkvollen Baus – oder erklären gar die Geschichte des Alcatraz in der Adria. Auch Hotels sind Teil des Buches. Vom Penthouse für Playboys in Haludovo bis zu einer ganzen Bucht, deren Hotellerie den Kroatienkrieg nicht »überlebt« hat.

Womit wir wieder bei meiner Kindheitserinnerung wären. »Das Hotel wird nach dem Jugoslawienkrieg nicht mehr wieder bezogen worden sein«, hatte mein Vater damals gemutmaßt. Ich werde wohl wieder mal nach Rovinj müssen, ein Boot nehmen und mich auf die Suche machen. Und wenn ich dort, wo einst nur Ruinen waren, keinen Lost Place finde, kenne ich dank Lux‘ und Weichselbrauns Werk ja mittlerweile einige andere Orte, die in mir neuerdings die Frage nach dem Warum aufwerfen werden. Nur, dass ich in diesen Fällen dank der Buchmacher auch die Antworten erhalte.

Lost Places
Von Georg Lux und Helmuth Weichselbraun, Verlag Styria 2023, styriabooks.at

Alles Kultur, Fazit 193 (Juni 2023), Foto: Stella Kager

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