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| 11. April 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 201, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Vor sechs Jahren hat der Leibnitzer Unternehmer Peter Becskei den mittlerweile letzten Schuhmacherbetrieb in der Grazer Innenstadt übernommen. Dabei setzt er volles Vertrauen in seine Mitarbeiter, damit sie die »Shoemacherei« in der Raubergasse möglichst bald selbst übernehmen können. Allerdings weg vom Billigimage, weil auch Nachhaltigkeit ihren Wert hat.

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Die meisten Leute lassen ihre Schuhe deshalb reparieren, weil sie sie mögen und nicht auf sie verzichten wollen. Etwa weil sie gut eingegangen sind, weil sie subjektiv gefallen und im Grunde geliebt werden. So pragmatisch sieht das Peter Becskei, der die »Schnellsohlerei« in der Raubergasse im Jahr 2018 vom Nachfolger der Familie Ullrich beziehungsweise Auer übernommen hat. Der alteingesessene Betrieb behauptet sich schon seit Jahrzehnten in dieser Gasse, deren Name sich im Übrigen keineswegs von irgendwelchen Räubern ableitet, sondern vom Geschlecht der Freiherrn von Rauber. Manche interessiert das. Der Standort ist für einen Schuhmacher jedenfalls ideal, die Kunden kommen in Strömen. Das hat gute und weniger gute Gründe, weiß Becskei, der seit 2015 auch Innungungsmeister der Schuhmacher und Orthopädieschuhmacher in der Wirtschaftskammer Steiermark ist. Zum einen sind die Kunden offenbar zufrieden, zum anderen haben sie keine große Auswahl. Denn in der Inneren Stadt von Graz ist er der letzte seiner Art. »In den letzten eineinhalb Jahren hatten wir drei Abgänge von Schuhmachern: in der Franziskanergasse, in der Zinzendorfgasse und in Andritz«, so Becskei.

Foto: Heimo Binder

Preisanpassungen
Er selbst hat festen Boden unter den Füßen und betreibt mit seinem Bruder Thomas eine Orthopädiefachwerkstätte mit Medizinproduktehandel mit Stammsitz in Leibnitz und Filialen in Graz und Deutschlandsberg. Ein Familienunternehmen, das bereits vom Vater der beiden gegründet wurde. Daher ist er nur einmal in der Woche in der »Shoemacherei«, wie der Betrieb in der Raubergasse nunmehr heißt, und verlässt sich auf seine vier Angestellten, die einen Jahresnettoumsatz von rund 200.000 Euro erwirtschaften. Seit Corona wurde zudem die Umsatzsteuer im Reparaturgewerbe von 20 auf 10 Prozent gesenkt. »Es wäre natürlich etwas anderes, wenn ich selbst hier arbeiten würde. Dann bräuchte ich nur einen oder eineinhalb Mitarbeiter. Aber so gibt es natürlich auch Preisanpassungen«, erklärt der gelernte Orthopädieschuhmacher. Ein Absatz zum Beispiel kommt auf bis zu 25 Euro, eine Sohle auf rund 30 Euro und wenn die ganze Sohle gemacht werden muss auf zirka 50 Euro. Im Durchschnitt muss die Kundschaft bei einer Reparatur mit 25 bis 40 Euro rechnen. Das sei für eine Stadt wie Graz genau richtig und angemessen. Es ist an der Zeit, mit dem Billigimage des Schuhmachers zu brechen, meint Peter Becskei, sonst ist so eine Mannschaft nicht zu halten und das Geschäft hätte sich ganz erledigt. Angesichts des Rückgangs der Schuhmacher stelle sich die Frage: »Wer wird in Zukunft unsere Schuhe reparieren?«

Arbeitsteilung
In der Werkstatt geht es laut zu. Die Ausputzmaschine brummt, die Poliermaschine surrt zwischendurch, zwei Reparaturpressen warten auf ihren Einsatz, ebenso die Durchnähmaschine und die Hohlnähmaschine. Schuhmachergeselle Christian aus Madagaskar hämmert auf eine Schuhsohle, eine sogenannte Bodenarbeit, sein Kollege, Orthopädieschuhmachergeselle Max aus den Niederlanden schneidet den Rand einer neuen Sohle zurecht und Frau Margit, die schon seit 46 Jahren dabei ist, hat eine Näharbeit unterbrochen, um einen Kunden zu bedienen. Die Vierte im Bunde, Oberteilherrichtergesellin Nathalie, ist gerade im Krankenstand. Lederpflegemittel, Schuhbänder und andere Accessoires für Schuhe stehen in der Nähe der Kassa, Stanzeisen für Sohlen hängen griffbereit an der Wand und die niedrigen Hocker haben tatsächlich drei Beine, wie man das seit jeher vom Schuster kennt. Und überall Schuhe, natürlich.

Freies Gewerbe
Die Schnellsohlerei vulgo Shoemacherei ist ein reiner Reparaturbetrieb. In der ganzen Steiermark gibt es noch rund 65 Schuhmacher, davon sind allerdings 35 Orthopädieschuhmacher, von denen wiederum sechs in Graz sind und zwei in Seiersberg und Thondorf. Diese reparieren aber nicht, außer jene Schuhe, die sie selbst hergestellt haben. Da das Gewerbe seit einigen Jahren frei ist, bleiben nur noch freie, in der Regel ungelernte Instandsetzer. Als Innungsmeister tritt Becskei zumindest für einen Befähigungsnachweis ein. Naturgemäß schmerzt der stete Verlust an Mitgliedern, die zumeist in Pension geben und allfälligen Nachkommen vom Beruf als Reparaturschuhmacher in der Regel abraten. Denn der Verdienst ist gering und in der Peripherie zeige sich ein eindeutiges Bild: »In kleinen Orten haben die Schuhmacher oft auch einen kleinen Schuhhandel dabei, aber schon beim Durchfahren ist zu erkennen, dass immer mehr zusperren. Andererseits profitieren wir in der Raubergasse vom Rückgang der Schuhmacher und haben Glück, dass wir so viele Reparaturen haben.«

Foto: Heimo Binder

Gute Lage
Als Peter Becskei im August 2018 das Geschäft übernommen hat, kannte er es schon länger: »Ich hatte die Kollegin Auer als Innungsmeister bereits kennengelernt und gesehen, dass es wohl eines der am besten gehenden Reparaturschuhmachergeschäfte in Österreich ist. Zunächst hat es ihr ein Kärntner Kollege abgekauft, der ist aber in Konkurs gegangen und dann habe ich es aus der Konkursmasse gekauft. In der Coronazeit haben wir die Mitarbeiter mit Wiedereinstiegsgarantie gekündigt, aber nach eineinhalb Monaten ist es ja wieder weitergegangen.« Doch nicht alle Mitarbeiter wollten weitermachen. So war es sehr schwierig, wieder ein komplettes Team zusammenzubekommen: »Wenn Margit nicht mitgemacht hätte, hätte ich es ganz bleiben lassen. Aber mir lag viel daran, dass diese Institution von einem Geschäft erhalten bleibt. Natürlich sind bei uns viele Fertigkeiten notwendig, so kommen zur Zeit viele Reitstiefel herein zur Reparatur des Reißverschlusses. Das macht ja fast keiner mehr. Aber nur dann, wenn Du in so einem Betrieb alles machst, hast Du auch Erfolg und stehst gut da. Das Gewerbe wurde in den letzten Jahren ja freigegeben. Zunächst gab es zumindest Instandsetzerkurse in Wien, aber wie dann Lehrlingsausbildungsprüfung, Unternehmerschule und so weiter weggefallen sind, wurden auch diese Kurse sofort eingestellt.«

Schuhgeschichte
Wie konnte es soweit kommen? In der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg gab es in Österreich noch viele Schuhmacher und jeder Schuh wurde manuell gefertigt. Doch schon mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurden Schuhe zunehmend in Fabriken gefertigt, und im Laufe der Zeit sank das Schuhwerk damit im Preis und wurde für die breite Masse erschwinglich. Um die Lohnkosten niedrig zu halten, begannen die Schuhfabriken in späterer Folge die Produktion ins Ausland auszulagern. Zunächst nach Spanien und Portugal, dann nach Rumänien bis in die Türkei und schließlich nach Asien. Auch der steirische Schuhhersteller Humanic, heute »Leder und Schuh«, wurde solcherart immer mehr vom Produzenten zum Einkäufer und Händler und entwickelte verschiedene Marken wie »Jello«, »Shoe4You« oder »Legero«. Ähnlich agierte auch Stiefelkönig mit »Delka« oder »Turboschuh«, bevor das Unternehmen insolvent und von »Leder und Schuh« aus der Konkursmasse aufgekauft wurde. Dazwischen versuchten die kleinen Schuhmacher zu überleben, indem sie zum Teil selbst Handel betrieben und den großen Marken mit Reparaturen sogar zuarbeiteten. Aber der Druck der Billigmärkte hatte sie schon längst in die bloße Reparaturschiene als Schuhinstandsetzer gedrängt, was man zwar als nachhaltig qualifizieren kann, aber nicht als förderlich für die Weiterführung des Berufs. »Allein die Orthopädieschuhmacher haben die Zeichen der Zeit erkannt und sind in den Gesundheitssektor gewechselt, wo auch noch Lehrlingsausbildungen stattfinden können.« Das weiß der 62jährige Peter Becskei aus eigener Erfahrung. Hat er nach einer Ausbildung zum Elektroinstallateur seinerzeit doch auf Orthopädieschuhmacher umgesattelt, um schon mit 23 Jahren den Einmannbetrieb seines Vaters zu übernehmen. Heute, fast 40 Jahre später, hat er 35 Mitarbeiter. Auch Sohn Peter und Stiefsohn Georg Lorenz sind in seine Fußstapfen getreten, beide sind Orthopädieschuhmachermeister, Georg macht zurzeit noch zusätzlich den Meister als Orthopädietechniker – so wie Thomas Becskei – weil sich Schuhtechnik doch wesentlich von der Prothetik unterscheidet. Der »Orthopädietechniker« stammt aus dem Bandagistenbereich und war ursprünglich ein Lehrberuf namens Orthopädiemechaniker, der früher selbst zum Beispiel Kniegelenke geschmiedet hat, die heute längst industriell gefertigt werden oder Prothesen, die der Bandagist seinerzeit dann beledert hat. Die beiden Berufe wurden somit zusammengelegt.

Foto: Heimo Binder

Wie es zu der etwas kryptischen Bezeichnung »Shoemacherei« für das Geschäft in der Raubergasse gekommen ist, klärt Peter Becskei auch auf: »Eigentlich wollte ich die Internetadresse »schuhmacherei.at«, aber die war schon besetzt und das englische »shoe« sollte auf unsere internationalen Mitarbeiter aus den Niederlanden und aus Madagaskar Bezug nehmen.« Die Bezeichnung »Schnellsohlerei« trifft den Zeitgeist nicht mehr ganz und wird einer Revision unterzogen. Sein eigentlicher, mittel- bis langfristiger Plan ist es aber, die drei Jungen im Team soweit zu bringen, dass die den Betrieb übernehmen. »Alle drei sind mittlerweile Facharbeiter und beherrschen ihr Handwerk. Meinen Vorstellung ist es, dass die Philosophie dieses Reparaturhandwerkbetriebs weitergetragen wird und vielleicht die nächsten 20, 30, 35 Jahre Bestand hat.«

Schuhmacherei Graz KG
8010 Graz, Raubergasse 16
Telefon +43 316 824135
shoemacherei.at

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