Die Tragödie der Grünen ist Tragödie für uns alle
Christian Klepej | 6. Juni 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 203
Lena Schilling. Lange nicht mehr erzählt man mit einer bloßen Namensnennung so viel an Geschichte. Lena Schilling, 23 Jahre alt, ist – zur Stunde noch immer – Spitzenkandidatin der Grünen zur Europawahl am 9. Juni. Und vor bald drei Wochen hat der Standard mit einer Art Enthüllungsgeschichte einen Stein ins Rollen gebracht, der brutal die gesamte grüne Wahlkampagne niedergerissen und alle Herzlichkeit derselben konterkariert hat.
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Der Aufstieg der Umweltaktivistin zur Spitzenpolitikerin wurde jäh gestoppt und erweist sich schon jetzt als eine persönliche Tragödie dieser für ein solches Amt viel zu jungen Frau. Und zu einer weiteren Tragödie für die Politik insgesamt. Kein bisschen wird über die Probleme der Europäischen Union diskutiert, niemand interessiert sich für inhaltliche Positionen der wahlwerbenden Bewegungen. Es geht ausschließlich um Dinge, die Schilling mit wem auch immer diskutiert und besprochen haben soll.
Ich möchte jetzt dem Ungemach der Lena Schilling gar nicht noch eins drauf setzen, im Grunde tut sie mir leid. Zudem habe ich mich für die Angelegenheit erst zu interessieren begonnen, als ich vor wenigen Tagen eines Videos von ihr ansichtig wurde, in dem sie sich zu neuen Vorwürfen äußerte. Ihre Wortwahl vom »weiteren Tabubruch« durch eine nun öffentlich gemachte Reihe von »privaten Chatprotokollen« hat mich nämlich aufhören lassen. War da nicht was? War da nicht eine die Republik erschütternde Skandalwolke, die im Grunde ausschließlich durch »private Chatprotokolle« gespeist wurde und deren Beurteilung in strafrechtlicher wie charakterlicher Dimension bis zum heutigen Tag schlicht unmöglich erscheint?
Ja. Und deswegen befasse ich mich doch mit den »Jugendsünden« und den »privaten Dingen« der Lena Schilling. Nicht, weil es mich was angehen würde, nein, weil diese grüne Malaise geradezu prototypisch für das ganze Unheil steht, das wir als Gesellschaft über uns – beginnend mit der Jahrtausendwende – ergehen haben lassen. Im Jänner 2022 habe ich hier davon geschrieben, dass »die Linke zu weit gegangen ist und sich dem konstruktiven Diskurs stellen« muss. Selbstverständlich lebe ich in meiner konservativen Blase, selbstverständlich sehe ich in konservativen Ansätzen die besseren Ansätze. Als Demokrat ist mir aber, und das darf ich vor allem meine nichtkonservativen Leser bitten, mir abzunehmen, als Demokrat ist mir der Austausch von Ideen, der Austausch eben von Konzepten ausnehmend wichtig. Wie oft habe ich schon davon gesprochen, gäbe es keine Sozialdemokratie, ich müsste sie erfinden. Und wenn ich immer Wert auf Differenz, auf Verständnis auch für andere Positionen lege, hier kann ich nicht anders, als eben »die Linke« für diese Situation verantwortlich zu machen.
Lena Schilling und mit ihr die ganze grüne Fraktion wird gerade von den Zauberbesen, mit denen sie seit Jahr und Tag unverantwortlich spiel(t)en, weggefegt. Zwei dieser Zauberbesen sind dabei eben das Moralisierende und die absolute Überzeugtheit von der eigenen Position; die jede andere Position nicht mehr nur schlechtredet, sondern durch dummdreist überzogene Vergleiche in das immerselbe Eck der Unberührbaren, der Bösen, der Rechtsextremen drängt.
Es waren die Linken, die in ihrer gewohnten Selbstherrlichkeit das »Private« zum »Politischen« erklärten. Und jetzt steht da vor unser aller Augen eine »arme, junge Aktivistin«, die allen Ernstes für ein öffentliches, ein politsches Amt kandidiert und offensichtlich ironiefrei davon radebricht, dass es »doch um ihre Ideen für das Klima blabla« und »um die Rettung der Welt blabla« gehen sollte, und »bitte nicht um ihre privaten Angelegenheiten«. Also um ihren – um es hier zu übersetzen – um ihren Charakter; verdammt noch eins! Ja, es ist unerhört, dass private Gespräche, private Briefe (und nichts anderes sind solche Chatnachrichten) den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben. Sie stehen unter höchstem Schutz. Seit dem 17. Jahrhundert ist dies wesentliche Grundlage europäischen Staatswesens. (Verzeihen Sie mir meinen Eurozentrismus, ich bin Europäer.)
Nie und nimmer hätten also private Gespräche von Lena Schilling an die Öffentlichkeit geraten dürfen. Genausowenig, wie die von Kanzler Sebastian Kurz. Nein, von Exkanzler Sebastian Kurz. Lena Schilling muss das jetzt ausbaden. Wir alle sollten schauen, dass wir dieses Zeitalter des Schwachsinns bald hinter uns lassen.
Editorial, Fazit 203 (Juni 2024)
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