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Zur Lage (38)

| 20. Juni 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 73, Zur Lage

Über moderne Kommunikation oder das, was wir dafür halten.

Dank der Wi-Fi®-Verbindung können Sie mehr Aufgaben in kürzerer Zeit erledigen. So haben Sie mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens.«
… beschreibt das Unternehmen Blackberry irgendeine verschrobene Funktion seines Mobiltelefons Pearl 9105 auf der Webseite. Mehr Aufgaben in kürzerer Zeit also. Welche  Aufgaben sollen das sein? Irgendeiner anderen Pappnase mitzuteilen, dass ich nicht in fünf, sondern erst in sieben Minuten kommen werde, nur weil ich vorher noch irgendeinen unwesentlichen Text dieser Pappnase zuschicke.
Zu erfahren, was die Damen und Herren von Blackberry für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens halten, ist mir übrigens dankenswerterweise erspart geblieben.
Die mir bekannten Kraftausdrücke reichen nicht aus, um meinen Erfahrungen und Gedanken bei meiner aktuellen Umschau nach einem neuen Telefon, Mobiltelefon, Ausdruck zu verleihen. Es wäre fast unfair, Blackberry hier allein stehen zu lassen: Apple, Nokia, HTC, Samsung, Sony und wie der ganze Technikschrott sich nennen mag, alles Müll! Ich will ein Telefon. Ich will damit telefonieren. Ich brauch keine Sternbilder deuten, ich brauch keine Fotos machen. Es interessiert mich einen feuchten Kehricht, welche Restaurants in meiner Nähe sind, geschweige denn will ich wissen, wie viele Kilometer ich am Tag marschiere.
Es würde mir meinen Tag verleiden, den ganzen Twitterschwachsinn ständig an meinem Herzen zu tragen, vom facebookschen Gebrabbel ganz zu schweigen. Die ganzen Entrüstungen, Empörungen und vor allem die absoluten Wahrheiten würden mir den Kopf platzen lassen. Allein der Gedanke, die Abertausenden Katzen-, Hunde- oder Babyfotos ständig mitzuführen, lässt mich beinahe erblinden.
Ich will keine E-Mails in die Sakkotasche geschickt bekommen, ich will nicht der unsinnigen Imagination aufsitzen, irgendetwas in meinem Leben könne nicht 24 Stunden warten. Ich will ein Telefon. Es soll gut in der Hand liegen, keine zu kleinen Tasten haben und, was soll’s, SMS empfangen können. Ich will es in mein Auto legen, und dort soll es sich automatisch mit dem Autotelefon verbinden. Sonst soll es nichts können. Just phone also …
Das war vor einer Woche. Also vor einer Woche habe ich das geschrieben, und  – das wird ja auch einigen großen der Weltgeschichte nachgesagt, das so zu halten – was schert mich meine Meinung von vor einer Woche. Inzwischen habe ich nämlich auch so ein Smartphone; wir alle in der Redaktion haben so ein Smartphone und der gesellschaftliche Druck – man will ja nicht total abstinken vor den Kollegen – hat mir also diese Spielerei beschert. Und ich sage Ihnen, es ist großartig. Allein wie cool es ausschaut, wie elegant sich der Bildschirm langsam erhellt oder noch langsamer wieder verdunkelt. Natürlich nur, solange niemand mit seinen Fingern über diesen gefahren ist, dann ist er halt ein bisschen verschmiert. Aber das Prinzip!
Und was das alles kann! Auf einer Parkbank bin ich gesessen und habe etwa in der  New York Times lesen können, dass Dominique Strauss-Kahn nicht mit seiner Tochter essen war, sondern doch unter der Dusche.
Oder das Wetter in Rio de Janeiro. Es hat irgendwas, in Graz auf einer Parkbank total informiert über die weltweite Wetterlage zu sein. (Das leichte Tröpfeln hab ich dann leider unbemerkt über mich ergehen lassen, die Online-Datenverbindung für Graz hatte ich noch nicht installiert.)
Mit meinem neuen Telefon kann ich jederzeit Online-Kasinos besuchen, würde ich das jemals wollen, weltweit Schach spielen oder auch mit mir allein würfelpokern. Tagsüber im Freien ist es nicht ganz so ideal. Dass ich die Bilder des unehelichen Kindes von Arnold Schwarzenegger auf dem von der Sonne verspiegelten Display nicht erkennen konnte, war da weniger problematisch als die Tatsache, dass ich dann nicht in der Lage bin, eine Nummer einzugeben oder eine der gespeicherten aufzurufen. Gut, das ist der Fortschritt, da darf man nicht meckern, irgendeine Macke hatten sicher auch die guten alten Tasten; zumindest nach drei, vier Jahren des Gebrauchs.
Einen Wecker hat mein Telefon auch. Dass ich heute verschlafen habe, und daher nicht zum Bundesparteitag der niederösterreichischen ÖVP nach Innsbruck gefahren bin – erstmals ein Parteitag seit 20 Jahren ohne meine Wenigkeit –, ist meiner Nachlässigkeit geschuldet, einer Generation anzugehören, die elektrische Geräte bei Nichtgebrauch ausschaltet. Das neue Superding schaltet sich nämlich nicht von selbst ein.
Alles in allem die richtige Entscheidung. Wenn man was zum Spielen haben möchte. Und wann will man das nicht. Telefonieren kann ich ja auch am Festnetz. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine große Koalition dem Lande nicht nutzen kann.

Zur Lage #38, Fazit 73 (Juni 2011)

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