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Minimales Risiko

| 27. Juli 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 85, Kunst und Kultur

Nur keine Angst vor zeitgenössischen Komponisten. Denn egal ob beim esoterischen Nähkränzchen oder beim Jogging durch den Park: Philip Glass tut keinem weh. Ein Text von Thomas Eder.

Philip Glass weiß, dass seine Musik belächelt wird. Das hat der Komponist in Interviews oft genug zu verstehen gegeben – meist mit einem resignierten Schmunzeln auf den Lippen. Er macht es seinen Kritikern aber auch einfach: Schreibt ein Concerto für Tirol Werbung, komponiert Soundtracks für Blockbuster wie „The Truman Show“ und verbeugt sich in seiner 1. und 4. Symphonie vor den Melodien David Bowies. Dazu das allgegenwärtige Zelebrieren des Wohlklanges, der kultische Charakter der Wiederholung. Da schrillen die Alarmglocken der Adorno-Verehrer, da sieht man die Errungenschaften der Neuen Musik in Gefahr.
Grabenkriege dieser Art sind nichts Neues. Man erinnere sich nur an die intellektuellen Ringkämpfe zwischen Wagner und Brahms oder Stravinsky und Schönberg. Heute ist klar: Keiner hat verloren, alle haben gewonnen. Und in hundert Jahren lacht man verständnislos über die bösen Worte, die Glass über sich ergehen lassen musste. Oder auch nicht. Denn der populärste Komponist Amerikas stagniert seit etwa 30 Jahren – und das nicht gerade auf hohem Niveau.
Vor dieser Zeit war Glass ein Rebell der Minimal Music, der mit „Einstein on the Beach“ die Dramaturgie der Oper auf den Kopf stellte. Fünf lange Stunden wurden melodische, harmonische und sprachliche Zellen wiederholt, bis schließlich alle Konnotationen eliminiert waren. Was blieb, war reiner Klang, befreit vom Schwulst und Subjektivismus der Romantik. Glass hatte damit einen ähnlichen Effekt erzielt wie die europäische Avantgarde, ohne auch nur in Ansätzen dissonant zu klingen. Nach dieser Großtat folgte ausgerechnet die Hinwendung zur romantischen Geste und der Durchschnittshörer hatte endlich was er brauchte: Einen repetitiven Klangteppich, auf den er sich fallen lassen konnte und sehnsuchtsvolle Melodien, die zum Träumen, jedoch nicht zum Denken anregten. Diesem Erfolgsrezept blieb Glass für Jahrzehnte treu.
Nun also das neue Werk. Am Neujahrstag in Linz uraufgeführt und kürzlich auf CD erschienen – dem Chefdirigenten Dennis Russell Davies, einem großen Bewunderer und Freund des Komponisten, sei Dank. Und als Verehrer des rebellischen Frühwerks beginnt man zu hoffen. Schließlich handelt es sich um die 9. Symphonie – die sagenumwobene, die gefährliche, die Symphonie, die bereits so viele Komponisten unter sich begrub und ebenso viele zu Höchstleistungen anspornte. Doch Glass geht kein Risiko ein und klaut wie immer bei sich selbst. Wenn etwas überrascht, dann der symmetrische Aufbau der einzelnen Sätze sowie der gesamten Symphonie: Leise, laut, leise. Auch die ungelenk integrierten Schlaginstrumente lassen aufhorchen und stören den hochprofessionellen Wohlklang. Aber egal, Hauptsache das Fließband läuft: Glass hat nun auch die Neunte hinter sich gebracht, die Zehnte liegt bereits zur Aufführung bereit und es ist nichts passiert. Von wegen sagenumwoben. Von wegen gefährlich.

Kultur undsoweiter, Fazit 85 (August 2012)

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